Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Bedeutung des Wortes Phantasie. Anschauung. Einbildungskraft. 213 
Anschauen ist etwas anderes als Wahrnehmen. Ein Gegen- 
stand bewirkt in uns einen sinnlihen Eindrus , dessen sic< die 
Seele bewußt wird. Das heißt Wahrnehmen. Ans<auen ist ein 
intensiveres Verhalten, ein verweilendes Betrachten der aus- 
drüclihen Form des wahrgenommenen Gegenstands. Wir ver- 
sezen uns in ihn hinüber. Es ist ein scharfes Erfassen mit 
den Sinnen und zugleich ein tiefes, liebendes Sichversenken der 
Empfindung. Das Objekt wird angeeignet, erlebt, innig in 
uns hereingenommen. Wer sich 3. B. nicht in das Seelenleben 
der Tiere hineinlegt, hat keine Phantasie. 
Die so vollzogene Ansc<hauung läßt ein Bild in der Seele 
zurü&. Es ist, wie wenn von dem innigen Zusammendrängen des 
Objekts mit dem Subjekt ein Abdru> zurücbliebe. So wieder- 
holt si< die eigentliche Sinnlichkeit in unserem Innern als un- 
eigentliche Sinnlichkeit, als Einbildungskraft. Nun ist der 
Geist dies innere Theater, das die ganze Außenwelt in sich 
hereingeworfen hat. Die Bilder verschwinden zunächst, aber sie 
sind unverloren ; sie bleiben aufgehoben wie in einem Depot, wo 
sie dem Zufall eines wekenden Moments oder dem Willensakt der 
Besinnung bereit liegen. Durch das geheimnisvolle Erinnern 
der mens<lihen Seele werden sie aus ihrem dunklen Schacht 
an das Licht des Bewußtseins hervorgezogen. Die Einbildungs- 
kraft ist also ihrem Wesen nach reproduktiv und nur in frag- 
liher Weise produktiv. Sie bringt ungeordnete Reihen gaukeln- 
der Bilder rein spielend und ohne Jdealität hervor. Und sie 
wirkt auch leicht stoffartig und entzündend auf die Leidenschaft. 
Völlig unbewacht, unfrei und bis zur Täuschung objektiv 
waltet sie im Traum, dessen Wesen für die Lehre von der Phan- 
tasie besonders wichtig erscheint. Im Traume sinkt der Geist 
in sich zurük, da die Pforten nac< außen zu sind. Er baut 
sich unterdessen eine Bühne. Erinnerungsgestalten tauchen auf, 
ganz willfürlih und ohne alle Aufsiht der Besinnung. Die 
Hauptkraft des Traumes ist gänzlihe JUusion. Er ist ein wirrer, 
aber sehr dramatischer Dichter. Er läßt Personen auftreten, 
die handeln und sprechen, und i<h wundere mich dabei über 
ihre Worte. I< träume, es gebe mir einer ein Rätsel auf,
	        
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