Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

214 Erster Teil. 811. 
und ich löse es. Die Traumbilder scheinen mir zu soufflieren, 
und ich souffliere ja ihnen. Nehmen Sie zu diesem Traum- 
leben die Helle des Bewußtseins, so haben Sie den Dichter. 
Ja, wie ein Traum, so sollen ihm die Gestalten aufsteigen, un- 
gemacht, lebendig wie zum Greifen. Was da nicht Traum<arakter 
hat, ist nicht schön, nicht vollendet, nicht poetisch, nicht wahrhaft 
künstlerisc<. Mit dem prächtigsten Palastgebäude hat der Architekt 
do< nichts Rechtes zu stande gebracht, wenn es nicht derart 
wirkt, daß ich mir sage: so etwas ist mir einmal im Traume 
erschienen. Er selber muß sein Werk zuvor wie im Traum ge- 
sehen haben. Gin unsagbarer Zauberhauch umwittert die Schläfen 
der Poesie. Allein sie bleibt deshalb doch auf die strengsten 
Naturstudien angewiesen und schließt die hellste Naturwahrheit 
keinesSwegs aus. Was sie beginnt, ist wie ein Shlafwandeln 
mit offenen Sinnen). Die Bilder des eigentlihen Traums 
sind oft dünn und schießen zusammen ohne alles Gesez, weil 
die Kontrolle des Bewußtseins fehlt. Wir müssen also, wo 
es sih um das Schöne handelt, aus der bloßen Einbildungs- 
fraft heraus. 
Wie entsteht ein schönes Bild der Phantasie? Man hat 
dafür immer nur Gleichnisse. Man nennt es ein Hervorwachsen 
aus einem Kern, ein Abthun der Schlacken, ein Herauss<melzen, 
ein Läutern des reinen Goldes, eine verhüllte, unbewußt- 
bewußte Division. Daß dieser Prozeß ein unbewußter und doch 
von Bewußtsein überwachter ist, darin liegt das Wunder wahrer 
Genialität, das Rätsel des Schaffens künstleris<her Phan- 
tasie. Es ist ein waches Träumen, ein Auftauchen von Bildern 
vor dem klar schauenden Geist. Dabei gibt es kein Verstandes- 
kombinieren; madchen läßt sich dabei nichts. Lessing sagt von 
sich einmal: „bei mir schießt nicht alles in so vollem, reinem 
Strahle auf.“ Und Sciller braucht daher den Ausdruk: „einen 
Stoff aufquellen machen.“ Vieles muß aufsc<hießen, aufquellen, 
vieles muß weg wie Spreu. I< habe zum Belege hierfür schon 
etwas von Schiller erwähnt. Er erfährt dur< Goethe die Sage 
Y:Nalt oben. S. 6 8.82:
	        
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