22 Zweiter Teil. 81.
versehrt, um bewundern zu lassen, wie da die Farben hervor-
gezaubert sind. Rottmanns Pinselstrich scheint ganz leiht ge-
zogen, aber niemand kann ihn nac<machen, und niemand erreicht
mit so wenig Mitteln den Zauber seiner Kunst. Als diese Land-
schaften neu waren, sagten die Leute: „dies ist Coulissenmalerei“,
jedo< man hat es anders anjehen gelernt.
Es gibt also in der Kunst einen lernbaren und einen un-
lernbaren Teil; ihr Handwerk besteht in äußerlicher, formaler
Technik und zugleich in geheimnisvoll beseelter Technik. Das
ist das Resultat.
Nun ist aber noch etwas zu besprehen. Denn die Technik
wirkt auch zurü& auf die Phantasie. Ihr inneres Bild gewinnt
dadurch, daß es ein äußeres wird; es erhält am realen Halt
der Ausführung mehr Bestimmtheit. . Indem ein Künstler sich
im Handwerk übt, lernt er in jeinem Geiste reiner, s<öner
schauen. Und die innere Thätigkeit seiner Phantasie wird von
der Technik auch befruchtet.
Zn Lessings Emilia Galotti (Akt 1, Scene 4) sagt der
Maler Conti: „Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch
den Arm in den Pinsel, wie viel geht da verloren! Oder meinen
Sie, daß Raphael nicht das größte malerische Genie gewesen
wäre, wenn er unglüclicherweise ohne Hände wäre geboren
worden?“ Darauf ist zu antworten: Nein! Raphael wäre ein
unentwielter Keim zu einem großen Maler gewesen; aber den
hätte man nicht. Durch die Technik, dur< die Praxis des
Malers hat Raphaels inneres Geistesleben erst malerischer schauen
gelernt. Der Künstler wird und wächst in seinem Inneren durch
feine Technik. Das innere Schauen der Phantasie lenkt, be-
richtigt, nährt, läutert, erhöht die Technik, und umgekehrt. Nur
der Raphael, der gemalt und sich malend bemüht hat mit seiner
Hand, nur der hat auch so ges<aut, wie er geschaut hat. Und
so wird es mit allen Künsten sein. Der Dichter, der die pro-
jaische Sprache -- erlauben Sie ein Wort aus der Equitation =
„anzureiten“ begonnen hat, dem wird sie zu einem edlen, ebenso
fügsamen als feurigen Roß und endlich zum Pegasus.
Befruchtend wirkt die Technik auf die innere Phantasie-
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