Die Komposition. 935
hinzu erfinden, um eine Nebenhandlung nachher richtig dur<zu-
führen und in der Haupthandlung organisc< eingreifen zu lassen.
An jener Stelle muß etwas heraus, woran er vielleicht mit Liebe
gehangen hat; es muß weg, weil es dem Ganzen schadet. Der
Laie -- i<ß brauche das Wort, ohne vornehm zu thun gegen
den, der no< feine dur<gebildete Kunstkenntnis hat, wir alle
fangen ja als Laien an = frägt sich nicht, wie die Teile sich
zu einander verhalten. Er weiß kaum, daß dieses Rot
hier gar nicht wirken würde, wenn nicht daneben dieses Grün
oder Weiß oder dieser Schatten wäre, noch dieses Weiß oder
Grün oder dieser Schatten, wenn in der Nähe nicht Rot wäre.
Das gilt von allen Künsten *). Nehmen Sie irgend eine ein-
dru>svolle Scene in einem guten Drama. Sie würde uns ohne
das, was vorangegangen ist oder folgt, nicht so erregen. Die
Teile dienen einander zur Unterlage, heben und dämpfen, stüßen
und halten sich. Es ist eine Wechselspannung in allem, ver-
gleichbar einem kunstreihen Gewölbe oder einem Nes, worin
eine Masche in die andere greift. Daher ist es außerordentlich
gewagt, ein Kunstwerk gleich fertig zu machen oder, um ein
Malerwort zu brauchen, alla prima zu malen, statt mit der
Skizze zu beginnen und erst zuzusehen, wie die Formen, Farben,
Töne zusammenpassen und aufeinander wirken.
Kurzum : der Künstler muß vorerst komponieren, das heißt
ordnen, Einheit in der Mannigfaltigkeit schaffen, seinem Werk
die innere Oekonomie geben und es zu einem Gebäude machen,
worin alles einander gegenseitig trägt und stüßt. '
Die philosophis<e Frage der ästhetischen Form überhaupt
hat uns im ersten Teil (8 8) shon auf ihre Gesetze geführt,
und ich habe schon damals so viele Beispiele künstlerischer Kom-
position gebracht, daß ich jeht darauf zurückverweisen kann.
Wir mußten damals die einzelnen Eigenschaften ästhetischer,
also namentlich künstlerischer Erscheinung untersuchen: bestimmte
Abgrenzung, Maß, klare innere Teilung, dann Regelmäßigkeit,
Symmetrie und Proportion, wobei wir es mit eigentümlichen
1.Pal. oben S. 58 und 134 ff.