Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Die Kompositionsgeseße. 937 
der Bedeutung gewonnen, indem er alle bisher genannten Be- 
stimmungen ästhetischer Form umfaßt, sondern auch einen tieferen, 
lebendigeren Sinn, obwohl er an sich und mit diesen Bestimmungen 
auf seinen exakten Ursprung zurückgeht *). Er enthält den inneren 
Grund aller Wohlgefälligkeit; und dieser innere Grund ist die 
lebendige Seele des Kunstwerks. Es geht, den Sinnen fühlbar, 
ein Strom dur< alle seine Teile, wie durc< unsere Körper 
ein Blutstrom geht, in alle Glieder dringend und zurückehrend 
zum Herzen. So wird das Kunstwerk organisch und seine Teile 
erscheinen uns wie Glieder an einem lebendigen Leibe. Der 
Ausdru> Harmonie bezeichnet also ein unendliches Plus, und es 
wird an ihm klar, was sich ja natürlich von selbst versteht: daß 
die Zahl, obwohl sie uns als Zeichen für innere Ordnungen 
dient und namentlich in der Musik eine so wichtige Rolle spielt, 
nicht das Wesen der Kunst ist. 
Wir haben dann gesehen, wie die Harmonie Kontraste sekt 
und löst. Die Mannigfaltigkeit der Glieder schreitet zu Gegen- 
säen fort. Kein Kunstwerk wirkt ohne Kontraste. Die Folie 
ist von größter Wichtigkeit. Der Diamant leuchtet anders auf 
dunklem Grund und anders auf einer warmen als auf einer 
kalten Farbe. 
Einer der Belege, die ich Ihnen seiner Zeit hiefür gab, ist 
der lebte Teil des ersten Aktes in Shakespeares Drama Macbeth. 
Zur Ergänzung will ih heute noc< hervorheben, was der sechsten 
Scene vorausgeht. König Duncan ladet sich nac< JInverneß, 
Macbeths Burg, ein. In diesem ist bereits der Mordgedanke 
aufgestiegen. Nun könnte der Dichter einfach den unmittelbar 
zu erwartenden Besuch des Königs vermelden, und, ohne ihn 
vorzuführen, die Mordthat folgen lassen. Bei Shakespeare aber 
hat Macbeth seine Gattin begrüßt, sie haben in unheimlichen 
Andeutungen den Entschluß gefaßt, und jeht kommt der gute 
König und erfreut sich der balsamis<hen Luft an diesem Ort. 
So arglos tritt er in die Hölle des Hauses ein. Zuerst sehen 
wir ihre „s<warze Nacht“, dann dies helle Friedensbild, das ihr 
H "Ral. oben S. 198, 131, 134.
	        
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