Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Das Kontrastmotiv. 5939 
wie das Alleräußerste des Grassen gedämpft ist und zwar dur< 
die Fügung der Formen. Die fürchterliche Sclange selbst be- 
wegt sich doh in schöner Linie. So führt die Kunst in das 
Grasse weiche Kurven ein, so sc<webt sie zusammenfassend, 
einend, ausgleichend, lösend selbst über dem zerklüfteten Chaos 
der Gegensäße. 
Auch ein Dichtwerk soll mit einem Accord schließen. Dieser 
braucht ja nicht in einer hausba>enen Tröstung und Beruhigung 
zu bestehen, wenn doch Leiden, Verbrechen, Gewaltthat, Unter- 
gang zur Darstellung gekommen ist, aber in irgend einer Aus- 
sicht auf Versöhnung, auf Licht, in einer Zuversicht, daß die 
idealen Mächte trohdem dauernd siegreich bleiben. 
Don Carlos schließt accordlos, und das ist ein äußerst 
s<werer Vorwurf gegen diese Tragödie. Wir haben hier nur 
die trostlose Aussiht auf die Inquisition. Anders Goethes 
Egmont. Der besteigt das Schafott und bli>t mit freien, helden- 
mäßigen Augen in die Zukunft. Und auch Shakespeares fur<ht- 
harste Tragödien bringen uns zum Sclusse ein Gefühl der Ent- 
lastung, eine Konsonanz; und wenn sie uns auch entgegen gähnen 
wie lauter schre>liche Wunden, es gibt doh immer ein Heilmittel. 
Ist dagegen etwas komisch, dann darf es natürlich ganz 
wohl mit einer Spite" schließen, in welcher der Wert solchen 
Einklanges verpufft wird. Aber ganz anders ist es, wenn ein 
Dichter ernst und schön beginnt und dann plößlich mit einer 
Negation abreißt. Das liebt nun Heine, und das macht frei- 
lih Wirkung, denn diese plößlichen Effekte sind des Eindrucks 
der Ueberraschung immer gewiß. Sie sind jedoch vom Vebel. 
Solche Art abzuschnappen gehört ins Komische und zum studenti- 
schen Spaß, allein im Gebiet des gefühlten Ernstes ist sie ge- 
mein; und Heine hat gegenüber dem ästhetischen und sittlichen 
Empfinden unseres Volkes vieles verfehlt und viel auf seinem 
Gewissen. = 
Die künstlerische Komposition ist es also, wodurc<h die 
Formgesete, die ich schon im ersten Teil aufgestellt habe, reali- 
siert werden; sie macht Ernst damit. Sie schafft Einheit, leben- 
dige, organische Harmonie, sie sezt Kontraste und löst sie.
	        
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