Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Modell und Innenbild. Rückblick zur Natur. 245 
Wir haben uns seiner Zeit überzeugt: das Schöne ist nur 
sheinbar in der Natur. Wenn wir meinen, es dort zu finden, 
jo vergessen wir, daß dabei unser von innen heraus verklären- 
des Auge das Wesentliche bewerkstelligt. Das Schöne , sagten 
wir uns, ist also kein Objekt; es ist immer eine Schöpfung. 
Diese ist zwar zunächst hervorgerufen dur< den Anblick eines 
besonders günstig ausgefallenen Gegenstands in .der Natur, 
aber jeder ästhetisc<e Wert wird ihm erst (unbewußt) hinein- 
ges<haut. Wir sehen ja mit unseren Augen nicht den Gegen- 
stand, wie er ist, sondern schon in diesem unserem Sehen wird 
er verändert, resorbiert, idealisiert. Rein als Objekt genommen, 
würde diese Rinde, diese Haut ganz anders aussehen. Und so 
gelangten wir vom Naturshönen zur Phantasie, als der eigent- 
lihen Schöpferin des Schönen. Nun aber sind wir dennoch 
wieder an den Gegenstand gemahnt und können vorerst einmal 
poetisierend sagen: Das Naturschöne rächt sich für diese Hintan- 
stellung durc< die Phantasie, wenn es ans Scaffen geht; es 
jagt: halt, du mußt noh einmal nach mir zurückschauen, mir 
noh einen Schuldenposten tilgen. -- Es hat ja vor aller Kunst 
voraus die volle Lebendigkeit. Wie könnte 3. B. ein Maler 
mit seinen Mitteln die Intensität des Lichtes erreihen? Over 
den Glanz eines Mens<enauges? Davon kann er nur durc< 
Relationen eine scheinbare Vorstellung geben, und die ganze 
Naturlebendigkeit erreicht er niemal3; es muß etwas davon ab- 
sterben, um in seinem Werk, mit einer neuen Seele begabt, 
aufzustehen. Es wird alles um einen Ton tiefer gehalten und 
wird dafür seelischer. =- Das Leben der Kunst ist ein geistiger 
Schein. Sie muß. töten, um scheinbar zu leben ?). Das Natur- 
schöne lebt wirklih. Es vereinigt in sih, was die Kunst not- 
wendig trennen muß: Form, Farbe, Bewegung, Schall, Geruch, 
Ges<hma>. Die Kunst muß trennend töten, kann 3. B. in der 
Plastik nicht zugleich Form geben und wirklihe Bewegung. Sie 
isoliert, um eine Quelle der Schönheit ganz zu erschöpfen *). =- 
3) Vgl. oben S. 206. 
2?) Vgl. oben S. 202 und 207.
	        
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