Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

2532 Zweiter Teil, 82. 2, 
den in ihm dargestellten Menschen nicht im falschen Sinn 
idealisiert, nicht fad beschönigt zeigt. Das im Sinne des Photo- 
graphen am besten getroffene Bildnis ist also eigentlich das am 
wenigsten getroffene. 
Was ist Wahrheit? Der Künstler zieht aus einer Reihe 
von Momenten eine Quintessenz; er muß hinter die Oberfläche 
zurü&gehen und den Kern erfassen. Diesen geistigen Akt kann 
eine Maschine nicht vollziehen. Will der Künstler die Wahrheit 
eines Gesichts, so kann er sie nicht in diesem einen Augen- 
blife darauf sc<webend finden, sondern er muß sie nac< und 
nach erforschen und aus einer Mehrzahl von Eindrücken destil- 
lieren; so wird sein Gebilde nicht gemein wahr wie ein Licht- 
bild, sondern tief wahr. Danne>er hat Siller im vollsten 
Sinne des Wortes idealisiert. Schiller sah gewiß in keinem 
Augenblie seines Lebens so machtvoll aus, so stark blickte das 
Mark seiner Persönlichkeit gewiß niemals aus seinen Zügen, 
und dennoch ist diese Büste Schillers ganz wahr. Als man 
Danne>er dazu aufgefordert hatte, schrieb er an Wolzogen: 
„14, i<ß will ihn machen wie lebig, aber dann muß ich ihn 
folossal machen.“ Die Uebergröße des Maßstabes ist nicht 
naturwahr, sondern symbolisch, sie drü>t aber so schlagend den 
mächtigen Geist aus, daß wir uns keinen Augenbli> an ihr 
stoßen; ihre Unwahrheit erscheint uns höchst wahr. So hat 
Danneder seinen Schiller hingestellt, wie er ist. Nicht leicht 
findet sich sonst ein Werk, worin mit solcher Genialität der 
Typus eines weltgroßen Mannes erschaffen ist ; und kein Künstler 
kann etwas Besseres thun, als sih an Danne>er halten, wenn 
er Schiller darstellen will. 
Sie erinnern sich an jenen merkwürdigen Brief, worin 
Raphael dem Grafen Castiglione schreibt, um eine Gestalt wie 
die Galathea zu malen, müßte er mehrere schöne Frauen vor 
sich zur Wahl haben, allein da an solchen Mangel sei, bediene 
er sic< einer gewissen Jdee, die ihm in den Sinn komme"). 
Seine Phantasie sieht in sich das weibliche Jdealbild. Aber 
1 zal S. 204 oben: 
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