Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Volkskunst. Schulung. Lehrstätten. 9355 
Im Altertum und Mittelalter ging der Künstler ganz wie 
ein Handwerker in die Lehre, und so war es no<h im 16. Jahr- 
hundert. Er wußte sich eigentlih nur als Handwerker und 
nannte si auch so. Er wuchs eben auf in einer Werkstätte. 
Den Lehrling, den Gesellen und den Meister verband ein 
patriarchalisches Verhältnis. Das alles hat sich sehr verändert. 
Es ist erkannt worden, daß der Künstler die Mittel, welche er 
braucht, um das Nötige zu lernen, in einer Werkstätte nicht 
ausreichend erwerben kann, und so ist man dazu gelangt, hie- 
für ganze Anstalten zu errichten. Es haben sich die Akademien 
gebildet, na<hdem in Bologna und Rom hiemit der Anfang 
gemacht worden war. Unsere Architekten werden in Poly- 
techniken , unsere Kunsthandwerker in Gewerbeschulen erzogen. 
Solche Lehrstätten sind ohne Frage nötig geworden, die Wissen- 
schaft hat ihren Anteil an der Kunst. Der angehende Maler, 
Bildhauer, Architekt muß in Perspektive, Anatomie, Baukon- 
struktion , Mechanik u. a. unterrichtet, muß mit der Scatten- 
und Farbenlehre bekannt gemacht werden. Und alle miteinander 
brauchen Modelle und gute Muster zur Anleitung. Dafür kann 
der einzelne niht immer sorgen, das muß eine Staatsanstalt 
leisten. Da soll der Zögling die Natur studieren, aber ebenso 
sehr die Antike. Und warum? Weil sie ein bleibendes Vor- 
bild ist, eine zweite Natur. Die Griechen haben die normal 
schöne EntwiFelung der Menschengestalt mit hellerem Auge ge- 
sehen als jemals ein anderes Volk, unterstüßt davon, daß ihr 
Mensc<ensc<lag schöner war als je einer. Rumohr hat einmal 
gesagt: „mir scheint, man muß die Antike studieren, um die 
Natur sehen zu lernen.“ Dürer und seine Vorläufer, nament- 
lich in Franken, haben sich an die Natur, an die Mensc<<en ihrer 
Heimat gehalten und sie so fur<tbar e>ig, so herb, so hager, 
so fnöchern wiedergegeben, daß man staunen muß; und der 
Grund liegt darin, daß sie keine Antiken gesehen, oder nicht genug 
Antiken gesehen haben. Freilich ist es auch gefährlich, sich nur 
daran zu halten, und es gab Zeiten, wo man stark gegen sie 
reagierte, weil man damit in ein konventionelles Fahrgeleise 
geraten war. Bis zur Stumpfheit zeihnete man nach der Antike
	        
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