Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Akademien. DilettantiSmus. Meisterschaft. 257 
jekt, nachdem unsere großen Dichter die Sprache so geknetet 
haben, niht mehr schwer, Verse zu machen. Und wer hat nicht, 
wenigstens wenn er vergu>t war, sich auch einmal darin versucht? 
Das Reimschmieden von sol<hen liebenswürdigen Menschen, die 
es eigentlih nicht weit bringen, soll ganz wohl gelten als 
Hauspoesie, um Freunde, Verwandte, Genossen bei Hochzeiten, 
Kindstaufen , Zweckessen zu erfreuen. Auc<h drucken lassen 
kann man dergleichen, aber ih möchte bitten: in nicht zu 
vielen Exemplaren und nicht gleich unglücklichen Professoren 
zuschien! 
Ganz anders liegt aber die Sache bei dem Dilettanti3mus, 
der meint, er sei Kunst, eigentliche Kunst. Lesen Sie darüber 
die Schrift von Goethe! Auch Sciller hat indirekt an ihr mit 
gearbeitet. Sie finden da alles beisammen, was Sie hierüber 
belehren kann. J<h will nur eines herausnehmen. In der 
Malerei erkennt man den Dilettanten daran, daß es in der 
Zeichnung hapert, denn das verlangt am meisten Schule; er 
hat unsicheres Formengefühl. Wenn Sie von großen Meistern, 
einem Leonardo, Raphael, Michelangelo auh nur einen Arm hin- 
geworfen sehen auf einem Schnipfel Papier: was das Bestimmt- 
heit in den Formen, Kraft, Energie hat! 
In einem mühevollen Stufengang gelangt der Schüler, 
wenn es gut geht und wenn er das Zeug mit fich bringt, all- 
mählich zur Meisterschaft. Aber das ist etwas Relatives. Ganz 
Meister wird niemand. Wir sind ja alle Studenten unser Leben 
lang; und wohl dem, der sich dessen bewußt bleibt! Der beste 
kommt niemals am höchsten Punkt an, wo die Meisterschaft 
mangellos da ist; irgend eine Unvollkommenheit bleibt immer 
zurü>. Aber relativ muß es ja wahr sein: es gibt eine Meister- 
shaft, wir haben Männer, die wir Meister nennen dürfen: 
Phidias, Polyklet, Goethe, Schiller, Shakespeare. Ein Meister 
ist eben, wer die ganze Formengebung so machtvoll beherrscht, 
daß sie ihm leinen Widerstand mehr leisten kann, sein inneres 
Bild darin niederzulegen. Die Folge davon ist, daß man 
seinem Worke die Mühe nicht mehr ansieht. Da steht es nun 
wie ein Naturgebilde und do< ohne die Mängel des Natur- 
Vischer, Da3 Schöne und die Kunst. 17
	        
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