Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

M Cinleitung. 
Luft? Rauscht und wogt es nicht im Wasser? Tritt es nicht 
hervor in der Gestalt der Pflanze, des Tiers, des Menschen ? 
Wirkt es im menschlihen Schaffen nicht von selbst, mit innerer 
Notwendigkeit? Nicht nur aus den Werken freier Kunst blüht 
es uns entgegen. Kein Geräte, kein Gefäß, kein Zimmer, kein 
Kleid ist ohne einen Anflug des Shönen. Es rankt sic< aller- 
orten um das Nüßliche, sproßt als Ornament aus der trocknen 
Kernform des Gebäudes, umsäumt die struktiven Glieder als 
Blatt, Blume, Stab, Welle, Band, Rolle; es veredelt in grenzen- 
loser Ausbreitung und immer von neuem das bloß Taugliche und 
vom Bedürfnis Gebotene. 
Und weiter! Fragen wir uns, ob das Schöne nicht un- 
geju<t im Leben do< Zwee erreiche ! Freilih unmittelbar 
praktisc< kann dies nicht geschehen, denn es ist bloßer Sein; 
seine tieferen sittlich-politischen Wirkungen können nur indirekt 
eintreten. Aber wie stark sind sie do<! Suchen wir uns vor- 
zustellen, was die Völker wären ohne seine Macht! Wo blieben 
die Griechen ohne Homer, Aesch<ylos, Sophokles, Phidias? Wo 
die Jtaliener ohne Dante, Raphael, Michelangelo? Wie können 
wir uns die Engländer denken ohne Shakespeare, die Deutschen 
ohne die Strahlen aus den Lichtquellen Lessing, Goethe und 
Schiller ? 
Aber auch wenn wir nach der Wurzel sehen, finden wir 
den tiefsten Zusammenhang. Das Schöne zieht seinen Saft 
aus dem ganzen Leben; seine Nahrung ist die beste Substanz 
des Volkstums. Nur aus Kraft kann Kunst erwachsen. 
Die von ihrer Weihe strahlende Größe Athens entsprang 
aus den Befreiungskämpfen gegen die Perser. Auch wenn eine 
Nation sinkt, wie z. B. die spanische im 17. Jahrhundert, kann 
der Geist noh in ihr wirken und die Blüte der Kunst hervor- 
bringen. Selbst Werdendes kann sich im Schönen offenbaren : 
als wir noch nichts waren, da wurde doch unser deutsches Dichter- 
paar geboren von der Volkskraft, die eine Zukunft in sich barg. 
Das Schöne steht also nicht in der Luft. 
Wir treiben keine Schöngeisterei, die nur die gefällige Form, 
nicht den rec<hten Kern will und den Lebensernst nicht achtet. 
',
	        
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