Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

284 Zweiter Teil. 8 3. 
Griechen mit einer wahren Kunstandacht stehen; so merkwürdig 
gefühlt und frei sind shon die Formen behandelt. Die Köpfe 
dagegen sehen einander durchweg noch gleich, haben no< alle 
dasfelbe allgemeine, maskenhafte Gepräge. Die mittelalterliche 
Kunst hat viel früher gewußt, wie man von einem Mensc<hen- 
kopf eine lebensvolle Vorstellung gibt, aber die Beine ganz lange 
jehr dürftig gebildet. Fra Giovanni da Fiesole =- wie seelen- 
voll sind seine Gesichter, und wie dürftig seine Gestalten ! 
Auf den strengen folgt, wie Winckelmann zeigt, der hohe 
Stil. Das ist nun der des Phidias. Den kennen wir in. seit 
die herrlihen Figuren vom Parthenon gefunden sind. Die 
Kunst ist frei geworden; sie hat ihre Mittel in der Hand, be- 
herrs<t ihr Material und versenkt sich voll in ihren erhabenen 
Gegenstand: das Götter- und Heldenideal. Sie verherrlicht auch 
weiblihe Anmut, aber „die hohe Grazie, eine Gespielin der 
Götter“ (Win>elmann) steigt nicht herab zum gefälligen Lieb- 
reiz. So gesinnt war Phidias und Polyklet, von dessen er- 
habener Hera in Argos man in einer Marmorbüste des Museums 
von Neapel ein Nachbild sieht. In der Poesie ist ihr ähnlicher 
Zeitgenosje Aesc<ylos, der große, gewaltige, im höchsten Grad 
majestätisch stilvolle Tragöde. Es ist zugleich die Zeit der zu 
edlerem Maß gereiften dorischen Architektonik. 
Dann folgt, drittens, der anmutige Stil, der sich bei aller 
Großheit doH schon zu mehr Milde, mensc<lic<h faßbarer Lieb- 
lichkeit wendet. Die Bildner verlegen sich nun besonders auf 
das Aphroditenideal. So entsteht die Venus von Knidos, von 
der uns Nachbildungen eine ungefähre Vorstellung geben. Sie 
ist als aus dem Bade steigend aufgefaßt. =- Zudem geht es 
tiefer hinein in den Ausdru> des subjektiven Lebens und seiner 
Erschütterungen; und wie die Skulptur sich nun auf das Dra- 
matische wirft, zeigen die Niobiden. Es ist die Zeit von Sfkopas 
und Praxiteles. Auch die schwärmende Lust, die ekstatische 
Raserei, wird geschildert und selbst das Komische, soweit es der 
Plastik möglich ist. Man liebt den dionysischen Mythenkreis, 
die Faunen und Satyre, das wilde, ausgelassene Gefolge des 
Bacchus. So manche wunderbar schöne Statue, namentlich der
	        
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