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Griechen mit einer wahren Kunstandacht stehen; so merkwürdig
gefühlt und frei sind shon die Formen behandelt. Die Köpfe
dagegen sehen einander durchweg noch gleich, haben no< alle
dasfelbe allgemeine, maskenhafte Gepräge. Die mittelalterliche
Kunst hat viel früher gewußt, wie man von einem Mensc<hen-
kopf eine lebensvolle Vorstellung gibt, aber die Beine ganz lange
jehr dürftig gebildet. Fra Giovanni da Fiesole =- wie seelen-
voll sind seine Gesichter, und wie dürftig seine Gestalten !
Auf den strengen folgt, wie Winckelmann zeigt, der hohe
Stil. Das ist nun der des Phidias. Den kennen wir in. seit
die herrlihen Figuren vom Parthenon gefunden sind. Die
Kunst ist frei geworden; sie hat ihre Mittel in der Hand, be-
herrs<t ihr Material und versenkt sich voll in ihren erhabenen
Gegenstand: das Götter- und Heldenideal. Sie verherrlicht auch
weiblihe Anmut, aber „die hohe Grazie, eine Gespielin der
Götter“ (Win>elmann) steigt nicht herab zum gefälligen Lieb-
reiz. So gesinnt war Phidias und Polyklet, von dessen er-
habener Hera in Argos man in einer Marmorbüste des Museums
von Neapel ein Nachbild sieht. In der Poesie ist ihr ähnlicher
Zeitgenosje Aesc<ylos, der große, gewaltige, im höchsten Grad
majestätisch stilvolle Tragöde. Es ist zugleich die Zeit der zu
edlerem Maß gereiften dorischen Architektonik.
Dann folgt, drittens, der anmutige Stil, der sich bei aller
Großheit doH schon zu mehr Milde, mensc<lic<h faßbarer Lieb-
lichkeit wendet. Die Bildner verlegen sich nun besonders auf
das Aphroditenideal. So entsteht die Venus von Knidos, von
der uns Nachbildungen eine ungefähre Vorstellung geben. Sie
ist als aus dem Bade steigend aufgefaßt. =- Zudem geht es
tiefer hinein in den Ausdru> des subjektiven Lebens und seiner
Erschütterungen; und wie die Skulptur sich nun auf das Dra-
matische wirft, zeigen die Niobiden. Es ist die Zeit von Sfkopas
und Praxiteles. Auch die schwärmende Lust, die ekstatische
Raserei, wird geschildert und selbst das Komische, soweit es der
Plastik möglich ist. Man liebt den dionysischen Mythenkreis,
die Faunen und Satyre, das wilde, ausgelassene Gefolge des
Bacchus. So manche wunderbar schöne Statue, namentlich der