Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

IM Zweiter Teil. 84. 
behutsam und gaben dem Fleisch doch sicher nur einen Ton. Be- 
malen Sie dagegen eine Statue ganz und gar lebensgetreu, so 
fallen reflektierende Farbenlichter in die Scatten, verwischen die 
Feinheit der Formen und stören den vollen Eindru>. == Aber 
iM will jeht nicht weiter hierauf eingehen. 
Die Malerei greift zur Farbe und gibt uns mit ihr einen 
Schein auf der Fläche. Die volle, runde Form darzustellen, 
ist niht ihre Sa<e. Ihr Zwe ist erreicht mit einem Opfer. 
Jedoch beide miteinander, Skulptur und Malerei, obwohl 
Leben nachahmend, können keine Bewegung geben. Das heißt: 
beide geben zwar Gestalten, die bewegt erscheinen; wir sehen 
aber nur einen Moment ihre Bewegung. Dieser Moment ist 
im Bilde festgehalten, in einem Bilde, das an sich keinen Wandel 
hat. Das Ganze, der Fortgang der Bewegung bleibt aus- 
ges<hlossen, muß sich in der Vorstellung des Betrachters voll- 
ziehen. 
Jeßt kommt die Musik. Diese gibt wirklihe Bewegung, 
denn sie arbeitet mit bewegten Tönen. Sie spricht damit zu 
unserem Gefühl. Aber sie kann keine Gegenstände darstellen, 
ein für allemal nicht. Wenn sie das doch thut, so kann sie es 
nur, indem sie sich mit der Schauspielkunst verbindet, also in 
der Oper. Die Musik kann nicht malen; und meint fie zu 
malen, so ist es nichts; sie malt nicht die Gegenstände, sondern 
bloß die Empfindungen, die man dabei haben kann. Da sagt 
z. B. einer: „ich stelle durc< diese Komposition die Wüste dar,“ 
aber, wenn wir es nicht wüßten, so würden. wir nichts hören 
als Gruppen und Folgen von Tönen, die uns ungefähr den 
Eindru> des Oeden machen, und daß man sic< dabei eine Wüste 
vorstellen müßte, ist unrichtig. 
Unter Verzicht auf die anschauliche Welt hat also die Musik 
den bewegten Ton gewonnen. Und mit ihm den Ausdruc der 
inneren Gefühlsbewegungen. -Diese sind hier aber gegen- 
standslos. 
So einseitig, so sehr dur< das Material bestimmt ist jede 
dieser Künste. Allein desto stärker wird der Mensch auch den 
Drang fühlen, sich vom Material zu befreien, die im Materiale 
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