Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Dreigliederung. Bildende Kunst. Musik. Poesie. 295 
leben. Und so in der Musik, die ja mit ihren Tönen nur Ge- 
fühle, nur Stimmungen ausdrüct und keine Objekte, kein 
Bild geben kann, wenn sie sich niht mit der Poesie verbindet. 
Wenn es nun wahr ist von der Poesie, daß sie die sicht- 
bare Welt mit ihren Objekten unserem inneren Auge wieder 
aufstrahlen läßt und zugleich diese Objekte mit dem inneren 
Geistesleben tiefer zusammenbringt, so ist es leicht zu verstehen, 
wenn ich sage, daß die Poesie, wie sie Zeitfolge und Raum- 
folge eint, so auch subjektiv und objektiv zugleich ist, sub- 
jektiv, weil sie aus der Tiefe des Geistes kommt, und objektiv, 
weil sie dem inneren Auge Gegenstände malt. 
Es ist nun selbstverständlich, daß wir mit dieser Drei- 
gliederung nur ein logisches Verhältnis, nicht den geschichtlichen 
Gang geben. Wir bringen darin zuleßt, was in der Geschichte 
do< sogleich hervortritt. Die Poesie, als die relativ mühe- 
loseste, ist wohl neben der Baukunst, als der am frühesten not- 
wendigen, die älteste Kunst. Die Sprache liegt ja dem Menschen 
jeden Augenbli> zunächst, gehor<t ihm am ersten, um Gefühle 
auszudrücken, und verbindet sich so leiht mit der Musik, die 
wohl 'ebenso alt ist, so daß dann beide das begründen, was 
wir naive Kunst nannten, Kunst vor der Kunst. Unsere Ein- 
teilung und der Gang der Entwikelung stimmen also nicht 
überein. Das thut aber nichts; es kann wohl kommen, daß 
wir logisch als das lette seen müssen, was historisch das erste 
ist. Die wahre, volle, vertiefte Poesie ist dann Übrigens später 
als alle anderen Künste entstanden, das künstlerism durc- 
gearbeitete Drama erst, nachdem Architektur, Plastik, Malerei 
und Musik Blütestände erreicht hatten. So ist die Umkehrung 
no< mehr begründet, so erscheint unser Stufenbau doch auch 
wieder historisch gerechtfertigt. 
Wir haben darin bisher bloß drei Gattungen unterschie- 
den: bildende Kunst, Musik, Poesie, als ob Architektur, Plastik, 
Malerei bloß Zweige am Baum des ersten Gebiets, bloß Arten 
der Gattung wären, die wir bildende Künste nennen. Zn 
Wahrheit sind sie selbständige Gattungen. Allein sie haben 
eben das Gemeinsame, daß sie mit körperlichem Stoffe Sicht-
	        
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