Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

30() Zweiter Teil. 8 4. 
Diese ihre lebendige Einheit bewirkt 'nun, daß sie sich an- 
einander anlehnen. Die Architektur gibt ja die Stätte her für 
alle übrigen Künste und erweist sich auc< deshalb als die Funda- 
mentalfunst. Denken Sie nur an den Skulpturschmuc des 
Parthenon! Da sehen wir die ganze Bevölkerung Athens in 
feierlichem Zuge vorüberziehen, ihrer Göttin die Festgeschenke 
zu Überbringen. Denken Sie ferner an die Fresken der sixtini- 
schen Kapelle! Dieses Verhältnis der Skulptur und Malerei 
zur Baukunst ist jehr wichtig; daraus erwachsen große Jdeen- 
reihen. 
Die Malerei lehnt sich an die Poesie. Jn der JUustration 
von Büchern hat ja die deuts<e Malerei des 16. Jahrhunderts 
fast mehr von ihrem Geiste entwikelt als in selbständigen 
Werken. 
Es gibt aber auc< Entlehnungen von Stoffen. Das 
hat zweierlei Bedeutung. Es geschieht entweder zum Zwe> des 
Nachbildens oder des Umbildens. 
Eine Kunst kann das Werk einer anderen nachzuahmen 
suchen. So kann der Maler mit seinen anderen Mitteln und zu 
seinem anderen Zwe> das Aeußere und Innere von Gebäuden 
wiedergeben. =- Auc< Statuen werden zuweilen in Gemälden 
abgebildet. Doch das hat nur geringen, nebensächlichen Wert. -- 
Der Dichter kann Paläste, Hütten, Kir<en, Bilder zu schildern 
suchen, aber es wird sehr schwach ausfallen, und wenn er gar 
Musik beschreibt, noh s<wächer. 
Aber auc<h zu voller Verarbeitung leihen die Künste ein- 
ander Stoff, der shon von ihnen gefovmt ist. Wie sehr dient 
Malern und Bildhauern die Poesie zur Fundgrube! Was haben 
sie niht alles aus der Jlias und Odyssee geschöpft. In der 
Leöche der Knidier zu Ephesos war von Polygnot die Eroberung 
Trojas und Odysseus im Hades dargestellt. Die Laokoongruppe 
ist frei nam Schilderungen von Sophokles, Virgil u. a. ge- 
bildet. Mit Dichterscenen ausgemalt sind die Residenzen in 
Münden, Weimar, Stuttgart und das Schloß Hohens<wangau. 
Andererseits erhält die Poesie dann wieder Motive von 
der Malerei und Plastik. Und innerhalb ihrer selbst, unter
	        
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