Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

14 Einleitung. 
Nun wird aber die Bezeihnung Geshma> au< auf Gebiete über- 
tragen, wo die Kunst hineinragt; und da lassen wir das Urteil 
nicht ganz frei. Kleider, Möbel, Geräte sind zunächst Sachen 
des Bedarfs und der Bequemlichkeit. Aber es bekundet sich 
darin der persönlihe Geshma> des einzelnen. Für Kleider- 
farben, Zimmerausstattungen gibt es keine Polizei. Wir lassen 
darin jedem seine Art und richten nicht strenge. Denno jagen 
wir von einem Mensc<en über seinen Anzug und Hausrat: er 
hat feinen Ges<ma>. Und damit geben wir zu, daß es auch 
hierin feste Normen gibt, daß sich die Geseze der rein ästheti- 
schen Sphäre, der Kunstwelt auch auf dieses Gebiet erstre>en. 
Das Farbengeseß ist etwas Objektives. Wer dagegen geht, von 
dem sagen wir: er hat keinen Gesc<hma>. 
Nun wieder von der selbständigen Kunst. Es kann ein Kunst- 
werk in seinen wesentlichen Teilen schön sein und doch Ge- 
sc<hmaclosigkeiten enthalten an gewissen Stellen der Peripherie, 
in relativ untergeordneten Nebenpartien, bis in die hinein des 
Künstlers Phantasie nicht reicht. 
Der Geschmac> schafft kein Kunstwerk, aber er hält, wenn 
es entsteht, das Ungeziemlihe ab von ihm. Das Wort bezieht 
sic nur auf den Saum am Gewande des Schönen. Durch 
Geschma> ist 3. B. nie eine großartige Komposition, nie ein er- 
habene3 Monument entstanden, aber wo es in den Einzelheiten 
“auszuführen war, da war auch Ges<hmac> notwendig. Wir er- 
kennen es wohl, wo ein Künstler von genialem Scöpfungs- 
trieb gegen den Ges<hma> fehlt; und das thut das Genie 
nicht selten. 
Darauf bezieht sich ein Distihon Schillers: 
„Warum will sich Ges<mac> und Genie so selten vereinen?“ 
Jener fürchtet die Kraft, dieses verachtet den Zaum. 
So verachten Michelangelo und Rubens den Zaum; und es 
geht bei ihnen nicht ab ohne allerlei Verstöße gegen den Geschma>. 
In ihrer Urgewalt, was kümmert sie's, wenn sie Takt und Zart- 
sinn befremden ! Shakespeares manierierte Vergleiche sind zu- 
weilen positiv abges<ma>t. Er zahlt darin der Mode jeiner
	        
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