Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Gottsched. Wahrheit. Lehrgedichte. -< 
Dramas, wenn sie nach Lesung ihn angeben wollen, im Prä- 
teritum zu erzählen; sie sprechen just, als ob es wirklich ge- 
schehen wäre. Keiner, der weiß, daß das ja komponiert ist, 
wird hiervon so berichten, sondern im Präsens. 
Der Dichter , sagte ich, steht über der historischen Wahr- 
heit. Er soll nur die innere Wahrheit des Mensc<<henlebens 
darstellen, wie es immer sein kann; und wenn er diesen oder 
jenen geschichtlihen Fall behandelt, so thut er es bloß, weil 
derselbe mit besonderer Kraft ein Bild gibt von Mens<enlos. 
Natürlich darf er dabei nicht in zu starken Widerspruch mit der 
Geschichte treten. Wenn einer, der den Wallenstein behandelt, 
ihn feinen Treubruch am Kaiser begehen ließe, so würden wir 
fragen: warum nennt er das Stü> Wallenstein? 
Dennoch bleibt wahr, was wir gesagt haben: Der Dichter 
bedient si< eines historischen Motives nicht, weil es historisch 
ist, sondern weil es ihm poetische Tülle entgegenbringt. 
Der Dichter kann auch einmal belehren wollen, wenn er 
uns nur sonst zeigt, daß er ein ganzer Dichter ist. Goethe 
und Sciller haben herrliche Lehrgedichte, aber das Lehrhafte 
ist niht die Gattung, die im Mittelpunkt der Poesie steht, 
sondern mit gewissen außerästhetisc<hen Mitteln vermis<ht; und 
es ist ein Wahn, wenn einer meint, mit Lehrgedichten wirkliche 
Poesie geleistet zu haben. Wir haben freilich viel Didaktisches 
in unserer Litteratur; es war lange Zeit Mode. Opiß hat 
mehrere lange Lehrgedichte geshrieben, „Ueber das Vebel und 
den Trost im Uebel“, und ein Holländer eines über gelehrte 
Krankheiten „Von den Suchten der Gelehrten“ =- vielleicht 
nur nicht belehrend. 
Also der theoretische Zwe> ist vom Schönen ausgeschlossen 
wie der Nubzwe>, wie der politische und moralisc<e Zwe. 
Auch die Befangenheit in diesen höheren Interessen nennen wir 
pathologisch. Wer sich so zum Kunstwerk stellt, daß er ausgeht 
von moralischen, didaktischen, politischen Grundsäßen und die 
ihnen entsprechenden Maßstäbe anlegt, verhält sich wie der, 
welcher sich sinnlih dazu verhält, pathologisch, weil ihn der 
Stoff packt, der praktische, moralische, didaktische, politis<e Wert 
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