Full text: Das Schöne und die Kunst (1. Reihe)

Erster Teil. 8 5. 
Wir meinen jeht aber etwas ganz anderes. Es gibt eine 
Symbolik, darin bewegt sich jeder sinnlihe Mensc< vom frühen 
Morgen bis zum späten Abend und auch noh im Traum. Wir 
haben kein anderes Wort dafür als Symbolik und müssen es 
nun in einem Sinn anwenden, der nicht der Verstandeswelt 
angehört, sondern dem dunkel ahnenden Leben des Gemüts. 
Es ist die Natur unserer Seele, daß sie sicß in Erscheinungen 
der äußeren Natur oder in Formen, die der Mens< hervor- 
gebracht hat, ganz hineinlegt und diesen an sich ganz abstrakten 
Erscheinungen, die von einem Ausdru> doch nichts wissen, dur< 
einen unwillfürlihen und unbewußten Akt Stimmungen unter- 
legt, daß sie sich mit ihrer Stimmung in den Gegenstand ver- 
sezt. Dieses Leihen, dieses Unterlegen, dieses Einfühlen der 
Seele in unbeseelte Formen ist es, um was es sih in der 
Aesthetik ganz wesentlich handelt. Gegenüber dem verständigen 
Symbolisieren ist es dunkel, aber do<h in seiner Art ganz 
bestimmt. 
Um Ihnen dieses Geheimnis zu zeigen, will ih Ihnen 
einige Beispiele geben. Wir wollen vorerst einmal reden vom 
Meßbaren, von Raumerstre>ungen und Formen, wie sie in der 
Architektur und in der Natur erscheinen, von Flächen an Körpern, 
Säulen , Wänden eines Gebäudes, an Bergen, Felsen. Was 
kann toter erscheinen als der Unterschied von Senkrecht und 
Wagrecht? Aber ist es Ihnen nicht befannt, daß mit der senk- 
rechten Linie unsere Phantasie aufsteigt? Deshalb sagen wir 
statt Begeisterung: Seelenerhebung. Sie erscheint uns wie ein 
räumlicher Vorgang, als ob die Seele emporges<wungen würde. 
Die Sprache hatte ursprünglich keine anderen Ausdrücke als 
sinnliche , und diese übertrug sie dann ins Geistige. Indem 
sie also für geistige Stimmungen sinnliche Bezeichnungen ver- 
wendet, bekundet sie dieselbe Symbolik, die in unserer An- 
shauung waltet. Sie nennt daher die vertifale Linie steigend 
oder, in entgegengeseßter Richtung gesehen, sinkend. Die Be- 
trachtung eines gotischen Domes ist unmittelbar verbunden mit 
einer Erhebung des Gemüts. Cin Abgrund gemahnt uns un- 
heimlich, furchtbar. 
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