218 I. Kraft und Stoff
erfüllt ist, daß die gesamte, ihm in Gestalt von Wärme zugeführte
Energie sich in Vergrößerung der Molekulargeschwindigkeit wieder-
findet. Die wirkliche oder „absolute“ Temperaturskala ist die „„thermo-
dynamische“: als Schritte gleicher Temperaturerhöhung haben solche
zu gelten, bei denen die durchschnittliche Bewegungsenergie der Mole- |
küle um gleich viel zugenommen hat. Eine absolute Einheit für die Tem- L
peratur würden wir z.B. bekommen, wenn wir festsetzten, daß als N
„Grad“ diejenige Temperaturerhöhung gelten soll, bei der der Energie-
inhalt eines Mols eines idealen Gases um eine Energieeinheit zunimmt, )
oder wenn wir verlangten, daß das mechanische Wärmeäquivalent den Fr
Wert 1 erhalten sollte. Das Helium wählen wir deshalb als Thermo-
metersubstanz, weil seine Angaben der absoluten Skala am nächsten
kommen. An diesem Beispiel ist also deutlich zu erkennen, daß der
Weg der physikalischen Begriffsbildung zwar mit Konventionen ge- ;
pflastert ist, oder anders gesagt, daß der Bau der Physik zwar nicht
ohne das Gerüst der Konventionen aufgeführt werden kann, daß dieses 8
Gerüst jedoch abgebrochen werden kann und abgebrochen wird, wenn der a
Bau fertig ist. Dies letztere ist aber, wie das Beispiel der Thermometrie z
aufs deutlichste zeigt, eben erst dann möglich, wenn der fragliche )
Begriff (hier die Temperatur) seinerseits in einen größeren und um- .
fassenderen Zusammenhang (hier den der kinetischen Wärmetheorie)
eingeordnet ist. In unserem (realistischen) Sinne wohnt also aller
physikalischen Begriffsbildung eine „prospektive Potenz‘‘ inne, sie weist
stets über sich hinaus auf das Erkenntnisziel hin. Erst von diesem
aus erhalten alle physikalischen Begriffe ihre endgültige logische Stel- .
lung. In diesem Zusammenhang sei insonderheit noch einmal an die T
Begriffe Masse und Geschwindigkeit einerseits, Impuls andererseits er- ;
innert (vgl. S. 55, 156). Bei diesen wie in zahllosen anderen Fällen erweist .
sich im Endergebnis der historisch und psychologisch spätere Begriff li.
logisch systematisch zumeist als das Prius, ganz besonders gilt dies a
von der „Wirkung‘‘, wie wir oben näher ausgeführt haben.
Indem wir einige andere Seiten des Problems, die mehr für den Fach-
mann Interesse haben, hier übergehen!76), wenden wir uns zu einer
weiteren Frage, die oftmals in naturerkenntnistheoretischen Schriften
erörtert worden ist, so neuestens wieder in einer sehr lesenswerten Studie
von R. Carnap!”7), nämlich zu der Frage nach dem Verhältnis von
Begriffsdefinition und Meßverfahren. In der angeführten Studie sagt
Carnap:
„Man hat bisweilen gemeint, eine physikalische Größe, wie z. B. die
Zeit, habe auch an und für sich, ohne Hinsicht darauf, wie sie gemessen d
werden soll, einen Sinn, die Frage nach der Methode der Messung sei ;
eine zweite Frage. Demgegenüber muß scharf betont werden, daß
der Sinn jeder physikalischen Größe darin besteht, daß be-