232 I. Kraft und Stoff
gegründete These ist. Dies wird erst recht klar, wenn wir an die bereits
obenerwähnte Tatsache denken, daß jede Feststellung eines der in Frage
stehenden allgemeinen Gesetze ja doch die Frage wachruft, warum
denn das Gesetz gerade so und nicht anders lautet. Man denke z. B.
an die Rolle, die das Brechungsgesetz in der theoretischen Optik ge-
spielt hat (s. S. 85). Auch diese Frage wird sinnlos oder muß doch
völlig umgebogen werden, wenn man nach konventionalistischer Art
in der Formulierung der empirischen Gesetze nur Leitfäden zur mög-
lichst bequemen Orientierung in der Welt der Erscheinungen erblicken
will. Wir sahen schon oben (S. 40), wie in Wahrheit jedes Spezial-
gesetz nach einer Erklärung aus allgemeineren Gesetzen verlangt und
wie sich so zuletzt ein Gesamtsystem der Erkenntnis ergibt, in dem alles
Einzelne seinen ganz bestimmten Platz findet. Dies führt uns zu einem
letzten abschließenden Gedanken, der Einsicht in
c) Die Konvergenz der Forschung
Wenn der Anteil des erkennenden Subjekts an dem Zustandekommen
der Naturerkenntnis ein so großer wäre, wie es nach konventionalisti-
schen und aprioristischen Erkenntnistheorien erscheint, dann bliebe
eines ganz unbegreiflich, nämlich die immer aufs neue auch die kühnsten
Erwartungen übertreffende, erst nachträglich sich herausstellende Über-
einstimmung der auf den verschiedensten Wegen gefundenen Ergeb-
nisse, und zwar nicht nur der einzelnen Zahlenwerte, sondern auch
der theoretischen Vorstellungen. Besser als alles Reden geben einen
Eindruck davon solche Bilder wie etwa die beistehenden beiden Figuren,
die aus Auerbachs „Entwicklungsgeschichte der modernen Physik‘
entnommen sind. Beide stellen die geschichtliche Entwicklung der
Bestimmung je einer wichtigen physikalischen Konstanten dar, das
erste die Bestimmungen des mechanischen Wärmeäquivalents, das
zweite die der spezifischen Ladung der Elektronen (S. 106). Sie be-
dürfen eigentlich keines Kommentars. Der konventionalistische Posi-
tivismus muß zur Erklärung solcher offenbaren Konvergenz auf einen
ganz bestimmten Grenzwert hin die nichtssagende Ausflucht machen,
daß man eben die den Messungsverfahren zugrunde gelegten Konven-
tionen so lange ändere, bis die Übereinstimmung erzielt sei1®). Dies
mag hingehen, solange es sich um einige wenige verschiedene Methoden
handelt, bei denen man zur Not den Nachweis erbringen könnte, daß
jedesmal die neue Methode in ihren Grundvoraussetzungen so lange ab-
geändert sei, bis sie mit der alten im Ergebnis übereingestimmt habe.
Es wird aber absurd, wenn jetzt ganz unerwarteterweise und ohne Sic
jede weitere Konvention oder jede Abänderung früher ge- rel
troffener Konventionen noch ein halbes Dutzend anderer Methoden
auch zu dem gleichen Ergebnis führen, wie das so besonders schön