Full text: Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften

2536 I. Kraft und Stoff 
kein Widerspruch zwischen beiden Lehrgebäuden besteht, vielmehr das 
eine neben dem anderen vorläufig nötig ist, wenn man die Gesamtheit 
der bekannten physikalischen Erscheinungen verstehen will. Vorläufig 
ist also der Konventionalismus den Beweis, daß es wirklich 
auch nur zwei verschiedene Physiken gäbe, vollkommen 
schuldig geblieben. Hierzu kommt als noch wichtigerer Gesichts- 
punkt der folgende: Auch wenn dem Konventionalismus zugestanden 
werden muß, daß anfänglich eine größere oder geringere Freiheit in 
der Bildung der Hilfsvorstellungen, der Begriffe und Meßmethoden usw. 
besteht und also anfänglich die aktiven Zuschüsse seitens des erkennen- 
den Subjekts eine wesentliche Rolle spielen, so werden doch, wie uns die 
Geschichte des Temperaturbegriffs gelehrt hat, diese Willkürlichkeiten 
(oder ‚„partikularen Determinationen‘‘ nach Lan ges Ausdruck) im 
Laufe der Zeit immer mehr ausgemerzt, die „Freiheitsgrade‘‘ nehmen 
an Zahl also ab, und im Endresultat bleibt allem Anschein stets nur 
noch eine einzige Möglichkeit wirklich erhalten. Gegen diese konver- 
giert dann eben alles andere in oft ganz überwältigender Weise. Um- 
gekehrt dagegen zeigt es sich, daß bei jeder ganz oder halb falschen 
Theorie die Zahl der Schwierigkeiten, vielleicht zunächst nur langsam, 
schließlich aber lawinenartig wächst, daß also hier offenbar, um den 
bildlichen arithmetischen Ausdruck beizubehalten, eine divergente 
Reihe vorliegt1®°). Diese Divergenz und jene Konvergenz sind 
nach Ansicht des Verfassers der entscheidende Grund gegen 
jede Art von Naturerkenntnistheorie, die den Anteil des 
menschlichen Geistes zu hoch einschätzt, denn sie sind histo- 
rische Tatsachen, die selber nicht a priori zu dezudieren waren, sondern 
einfach a posteriori festzustellen sind. Sie beweisen, daß das still- 
schweigend der gesamten Naturforschung zugrunde liegende 
Vertrauen auf die Erkennbarkeit eines objektiven Tatbe- | 
standes nicht ein ungerechtfertigtes Vorurteil ist, sondern 
gute Gründe für sich hat, und daß wir uns deshalb einem End- i 
zustande der Physik wirklich nähern, in welchem alle Teilerkennt- 
nisse in ein einziges einheitliches logisches Gebäude eingeordnet sind, / 
das natürlich an allerlei verschiedenen Punkten etwa im Unterricht N 
begonnen werden kann, das aber in sich selbst immer dasselbe ist, 
einerlei, bei welchem Ende man anfängt, 
Gegen diese Auffassung verschlagen auch zwei letzte Einwände nichts, ı 
die man bei solcher Erörterung häufig zu hören bekommt. Der erste / 
beruft sich auf die unbezweifelbare historische Tatsache, daß schon 
mehrere Male in der Geschichte der Physik man einem einheitlichen . 
physikalischen Weltbilde sehr nahe zu sein glaubte und nachher in- n 
folge ganz ungeahnter Neuentdeckungen es erleben mußte, daß ganz ' 
wieder von vorn angefangen werden mußte. Man denke z. B. an das 
”
	        
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