410 III. Materie und Leben
gewisse andere Dinge, die unten zur Sprache kommen, lassen sich alle-
samt am leichtesten verstehen, wenn wir hier ein die Individuen um-
greifendes seelisches Erleben?) voraussetzen. Vielleicht wird ein
mechanistisch denkender Biologe hier einwenden, daß das ja aber
doch nichts anderes als der oben so scharf unter die kritische Lupe
genommene ‚,Psychovitalismus‘® sei. Darauf ist zu erwidern, daß
dann das gleiche gelten müßte, wenn ein Biologe wie etwa v. Frisch
in Jüngster Zeit uns überhaupt tierische Handlungen mit Heranziehung
seelischer Faktoren wie Empfindungen usw. verstehen lehrt. Tatsäch-
lich zweifelt doch kein Mensch daran, daß wenigstens die Handlungen
der höheren Tiere durchaus legitim mit Zuhilfenahme psychologischer :
Begriffe wie Hunger, Angst, Geschlechtstrieb u. dgl. erklärt werden
können. Wir haben schon oben hervorgehoben, daß diese durchaus
ebenso real sind wie körperliche Vorgänge, und wollen hier durch
unsere Annahme eines weiter über die Individuen hinausgreifenden
seelischen Zusammenhanges also gar nichts einführen, was nicht schon !
im Grundsatz ganz allgemein eingeführt wäre, andererseits aber über
das dahinterstehende Grundproblem mit dieser Annahme auch nichts |
präjudizieren. Ein übergreifender seelischer Zusammenhang ;
beweist für den Vitalismus genau so viel und wenig wie jede a
alltägliche Erklärung einer Handlung aus psychologischen
Motiven. Auf die uns seitens der Mechanisten in Aussicht gestellte a
physiologische Erklärung können wir nicht warten, im einen so wenig tl
wie im anderen Falle. Was sollte denn die Tierpsychologie unterdessen d
anfangen? Es bleibt ihr doch, wenigstens einstweilen, nichts anderes de
übrig, als zuzusehen, wie weit sie mit den eigentlich psychologischen m
Begriffen, wie Motiv, Trieb, Empfindung, Assoziation usw. kommt. he
Was wir vorschlagen, bedeutet also nur, daß man dies bei den Indi- 7
viduen allgemein gebilligte und angewendete Verfahren nötigenfalls ad
auch auf die übergreifenden Einheiten anwenden darf und evtl. muß. 4
Wenn wir so in der Tierpsychologie uns vielleicht genötigt sehen, die ©
von der menschlichen Psychologie her uns so selbstverständlichen Gren- ;
zen des „Individuums“ zu verwischen, so nötigen uns andere Erfah- ;
rungen und Versuche aus diesem Gebiete, andererseits uns den Raum der ZU
Tierpsyche wesentlich enger zu denken als den der Menschenseele. Man 1
kann sagen, daß nicht eigentlich das Tier denkt, oder richtiger: empfin-
det, will, fühlt usw., sondern daß „es‘‘ in dem Tiere denkt usw. Aber Sa
eben dieses ‚Es‘ denkt, fühlt, will und handelt im Tiere in einem eng
begrenzten endlichen Kreise. Jedes Tier hat seine eigene Welt, die
mit der des anderen nicht oder nur zum Teil zusammenfällt. Der Hund
lebt in einer Hundewelt, die Spinne in einer Spinnenwelt, der Seestern de
in einer Seesternwelt, und es fällt dem Menschen, wie schon oben ge- ;
sagt, sehr schwer, sich von diesen überhaupt eine Vorstellung zu bilden,