434 III. Materie und Leben
Kampf in einer Schärfe im Gange, wie sie die Geistesgeschichte der tör
Menschheit nur an wenigen Stellen aufweist, und seine Nachwirkungen pul
gehen bis heute noch weiter. Es war kein Wunder, daß die Kirche beider Sel
Konfessionen aufs schärfste gegen die neue Lehre Stellung nahm, war Oh
diese doch von Anfang an, sicherlich sehr gegen Darwins Absichten, Di
mit Jubel von allen Gegnern der kirchlichen Lehren aufgegriffen. An- nic
dererseits hatte dieser Widerstand der Kirchen gegen etwas, was doch
nun einmal eine mehr oder minder ernst zu nehmende wissenschaftliche
Lehre war, eine rapide Zunahme der „„‚Kirchenflucht der Gebildeten‘“ im wo
Gefolge, während gleichzeitig die Arbeitermassen in Darwins Lehren Da
die wissenschaftlich ausgemachte Grundlage für die Lehren ihrer Pro- san
pheten Marx und Lassalle (den „ökonomischen Materialismus‘‘) zu Va
sehen sich gewöhnten. Es ist bekannt, welche hervorragende Rolle bei letz
dieser ganzen Entwicklung Popularphilosophen und Naturforscher wie nic
L. Büchner, Vogt, Moleschott, und vor allem Ernst Häckel ge- ver
spielt haben. Die wenigen aus dem naturwissenschaftlichen Lager, welche
sich gegen den allgemeinen Strom stemmten (Wigand, Nägeli u. a.), sch
wurden überhört oder achselzuckend beiseitegeschoben. Abstammungs- Ges
lehre und Darwinismus verschmolz für das allgemeine Bewußtsein in der,
eins, aus Darwins zunächst doch rein als naturwissenschaftliche Hy- Ras
pothese gemeinter Lehre aber wurde über Nacht ein Allerweltsprinzip, ode
welches nicht nur die Artenbildung erklären, sondern schließlich fast den Un
gesamten Weltlauf beherrschen sollte38). Insbesondere galt es bald für bar
ausgemacht, daß auch die gesamte menschliche Kultur eine „Entwick- Jo
lung unter Auslese des Passendsten“‘ sei. Kunst, Sittlichkeit, ja last daß
not least die Wissenschaft selbst erscheinen als Produkte solcher Auslese vor
im Kampf ums Dasein. Der von Amerika bei uns importierte „Pragma- feld
tismus“ ist die letzte Auswirkung dieser Ideen in die Erkenntnistheorie vor
hinein. (Das „Fürwahrhalten‘“ ist nach ihm ebenfalls eine biologische gan
Reaktion; wir halten etwas für wahr, wenn und weil dies Verhalten für Sog
uns bzw. die Art zweckmäßig ist.) Wir kommen auf diese allgemein gen
philosophischen Folgerungen unten zurück, bleiben aber jetzt einstweilen bun
im rein naturwissenschaftlichen Gebiet. bei
Schüchtern nur und langsam wagte sich die Kritik an dies scheinbar ver
so feststehende Gebäude heran. Wir müssen es uns versagen, dies weiter Pflo
geschichtlich zu verfolgen, wollen vielmehr den vorliegenden Fragen nun- zu
mehr in rein sachlicher Ordnung nachgehen und werden dabei gleich- L
zeitig die anderen heute vorliegenden Lösungsversuche des Abstam- Züc
mungsproblems kennenlernen. Die bestechende scheinbare Einfachheit Zzun.
des „Darwinismus‘‘ ist heute längst einer ungeheuren Mannigfaltigkeit ge- Ver,
wichen. Zahllose Forschungen, vor allem der experimentellen Biologie, Boh
aber auch der reinen Morphologie, Embryologie, Ökologie u. a. Teil- ents
gebiete wollen heute dabei berücksichtigt werden. Es ist ein überaus körı