456 III. Materie und Leben
ben, diese überhaupt widerlegt zu haben. Die Sache stellt sich viel-
mehr bis so weit lediglich als eine genauere Präzisierung
der Voraussetzungen Darwins heraus. Für das Wesentliche, die
Selektion, ist es an sich gleichgültig, ob dieselbe auf den unbestimmten
Begriff Darwins von der individuellen Variation oder auf den präziseren
der „elementaren Arten‘‘ oder „reinen Linien“ angewandt wird. ‚„Selek-
tionswertige Varianten‘ sind dann eben jene im gewöhnlichen Sinne erb-
lich konstanten, aber doch offenbar nicht absolut unveränder- (1
lichen elementaren Arten. Denn daß nun die 200 elementaren Arten 74
des Hungerblümchens (Jordan), oder die 19 reinen Bohnenlinien (Jo- le
hannsen) von Anfang an so erschaffen worden seien, hat meines Wis- C
sens auch der wütendste Gegner des Selektionsprinzips bisher nicht be-
hauptet. Sie können vielmehr und müssen als „Mutanten‘‘ im Sinne von
de Vries aufgefaßt werden, und die Selektion richtet sich also nunmehr
grundsätzlich nur noch auf solche, d. h. auf erblich übertragbare, jedoch
durch irgendwelche Ursachen sprungweise abänderungsfähige KEigen- HE
schaften. Somit. wäre trotz allem die Mutationstheorie zunächst au
nur als verbesserter Darwinismus zu bezeichnen. Sir
Anders wird jedoch die Sache, wenn wir nun die Frage nach den Grün- de
den der Entstehung jener Mutationen hinzunehmen. Hier schei- lu
den sich die Wege der reinen Selektionstheoretiker und die der La- Ja
marckisten (in neuerer Auffassung). Die Regellosigkeit der indivi- ihr
duellen Variationen bei Darwin könnte nunmehr ersetzt werden durch pa
eine Regellosigkeit der Mutationen. Dieselben entstünden aus irgend- au
welchen Gründen, wie beispielsweise bei Towers Koloradokäfern durch tänr
abnorme Kälte, in anderen Fällen vielleicht durch besondere Ernährungs- Gr
bedingungen oder durch Neukombinationen von mendelnden Erbanlagen in
(so nach Renners Ergebnissen wahrscheinlich auch bei de Vries’ (n:
Nachtkerzenmutationen) und zwischen den so vorhandenen Mutanten ges
wählte nun die Selektion aus. Das ist dann immer noch eine „„Zufalls- er
theorie‘, was zu sein eine der hauptsächlichsten dem Darwinismus vor- (E
geworfenen oder auch nachgerühmten Eigenschaften ist. Hiergegen pro- se
testiert nun aber der Neulamarckismus, indem er durchaus daran festhält, de
daß die Abänderung nicht regellos ist, sondern von vorherein SO]
in einer erkennbaren Beziehung zu dem vorhandenen Be- ers
dürfnis steht. Er verlangt mit anderen Worten die bestimmt ge- Gr
richtete Variation. Dabei ist wohl darauf zu achten, daß es sich um Ur
eine Richtung auf das Anpassungsziel hin, nicht nur eine be- ni
stimmte Richtung überhaupt handelt. Diese Bemerkung ist deshalb not-
wendig, weil es eine Gruppe von Tatsachen und zugehörigen Theorien näl
gibt, die dafür sprechen, daß an sich die Variationen keineswegs ganz aus
regellos sind, sondern nur in gewissen vorgezeichneten Linien sich be- leh
wegen. Man nennt diese Erscheinung mit einem von Eimer geprägten Ch