478 IV. Natur und Mensch
so viel Staub aufgewirbelt hat — allerdings, wie wir heute wohl hoffent-
lich alle einsehen, ganz unnötigerweise. Denn die wirkliche Religion
hat, um es noch einmal zu wiederholen, mit dieser Frage nach dem Stamm-
baum des Menschen gar nichts zu tun. Nur solche vermeintlich religiöse
Lehren kommen mit der Wissenschaft in Konflikt, die ganz unnötiger-
weise die Gläubigen auf ganz bestimmte primitive Welt- und Ge-
schichtsbilder festlegen wollen, welche nur deshalb für Religion gehalten
werden, weil sie traditionell mit deren Formulierungen verbunden
gewesen sind. Ebenso. verkehrt wie diese Festlegung ist natürlich
umgekehrt der Versuch gewesen, die Religion als solche mit den in Rede
stehenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu bekämpfen. Und
wenn es — in sog. Freidenkerversammlungen — heute noch immer
geschieht, so ist das einfach ein — Anachronismus.
| Wir kommen nunmehr zu den-
jenigen Vorzeitmenschen, über deren
S Aussehen und Kulturen wir uns ein
erheblich besseres und vollständigeres
Bild machen können, den mitteldilu-
vialen und spätdiluvialen Menschen-
rassen, die insbesondere hier bei uns
Abb. 81. Schädel aus dem Neander. in Europa, aber auch in anderen
tal bei Düsseldorf (1856). Teilen der Erde in relativ großer
Zahl gefunden sind. Vor allem haben
Frankreich, Spanien und Deutschland eine reiche Fülle solcher Fund-
stätten aufzuweisen. Wir wissen mit Sicherheit, daß diese Menschen
in dem damals noch größtenteils vergletscherten Europa zusammen
mit Renntier, Wollnashorn und Mammut gehaust, daß sie diese Tiere
gejagt und verzehrt, ihre Knochen zu Werkzeugen verarbeitet, das
Feuer sowie eine primitive Steinwerkzeugkultur gekannt und wahr-
scheinlich auch schon soziale, vielleicht auch religiöse Bindungen ge-
kannt haben. In den geologisch älteren Schichten (dem mittleren Dilu-
vium) tritt zuerst überall die bereits mehrfach erwähnte Rasse auf, die
nach ihrem ersten Fundort, dem N. eandertal bei Düsseldorf, wo Fuhl-
rott1856den ersten Vorzeitmenschenfund (Abb.81)machte,als Neander-
taler bezeichnet wird. Dieser Rasse sind die ältesten in Europa mit
Sicherheit (gegenüber den zweifelhaften „KEolithen“‘) als Kunstprodukte
anzusprechenden Feuersteinwerkzeuge (Faustkeile) zuzuschreiben. Man
bezeichnet die erste Kulturstufe als das Prechelleen, es folgt auf sie dann
das Chelleen und das Acheulden (die Namen sind abgeleitet von typischen
Fundstellen), weiterhin das Mousterien usw. Im zweiten Abschnitt der
älteren Steinzeit tritt dann zunächst neben dem Neandertaler, später an
seiner Stelle, eine neue Rasse auf, der sog. Aurignacmensch, und
weiterhin noch andere Rassen, so die sog. Cro-Magnon-BRasse, die