508 IV. Natur und Mensch
erleuchteten Bezirk auf einer Meeresfläche, auf den der Lichtschein eines
Leuchtfeuers fällt, das Unterbewußtsein aber der dunklen und unergründ-
lichen Tiefe, die darunter liegt. Oder das: Oberbewußtsein, das Ich, ist
die einzelne Welle auf diesem Meere seelischen Geschehens, das Unter-
bewußtsein dagegen dieses Meer selbst, und da unten gibt es keine ein-
zelnen Wellen mehr, sondern nur noch Wasser schlechtweg. Die Tele-
pathie würde dann so aufzufassen sein, daß gewissen Menschen, denen
es verhältnismäßig leichter als dem Durchschnitt fällt, in die Tiefen des
Unterbewußten hinabzusteigen (oder besser: von dort etwas herauf-
zuholen) sich in diesen Tiefen sozusagen herantasten könnten an Bezirke,
die für gewöhnlich dem Oberbewußtsein (dem Ich) gänzlich unzugäng-
lich sind, nämlich eben Komplexe, welche einem anderen „Individuum“
zugehören (Telepathie) oder auch einem für gewöhnlich nicht als ‚„„be-
seelt‘“ geltenden (toten) Sachverhalt (Hellsehen). Ja selbst das zeit-
liche Hellsehen, die Prophetie 4), könnte auf diesem Wege eingeordnet
werden, denn schließlich wäre es — vom Standpunkte der Minkowski-
welt aus gesehen — einerlei, ob jenes Vortasten sich in der „zeitartigen‘‘
oder „raumartigen‘ Richtung der „Welt“ vollzieht.
Solche Hypothesen sind zwar, gemessen nach dem Maßstabe der Natur-
wissenschaft von vor 30 Jahren, unerhört, indessen sie verlieren doch
bei näherem Zusehen zuletzt das Befremdliche, wenn man sich klar-
macht, daß ja doch der universelle physikalische Zusammenhang des
Kosmos sich vordem ebenfalls als eine bloße vage Idee darstellte, die
erst durch die speziellere Ausführung in der neueren Physik Leben und
Inhalt gewonnen hat. So könnte auch die Idee des „Panpsychismus‘‘
jetzt allmählich aus einem bloßen naturphilosophischen Programm sich
zu einer gut fundierten naturwissenschaftlichen Lehre entwickeln, es
fragt sich nur, ob die Tatsachen sie schon genügend stützen. Dies scheint
dem Verfasser nach dem gesamten gegenwärtigen Bestande der biolo-
gischen, psychologischen (auch tierpsychologischen) und okkultistischen
Forschung bereits in so weitem Maße der Fall zu sein, daß er kein Be-
denken mehr trug, dieser Hypothese hier einen so breiten Raum zu
gönnen. Es mag bemerkt werden, daß Eduard von Hartmann —
auch in diesem Punkte seiner Zeit um 50 Jahre voraus — sie bereits
in aller Ausführlichkeit und mit der nüchternsten Kritik ausgesprochen
hat‘), zu einer Zeit, als noch die ganze Wissenschaft im materiali-
stischen Dogma einerseits, in fruchtlosem Sichdrehen um Kants Werk
andererseits befangen war. Übrigens hat auch Kant zeitweise sich
mit Problemen des Okkultismus beschäftigt, wie sein Buch ‚Träume
eines Geistersehers‘“ ausweist. Dies geschah unter dem Eindruck der
Leistungen des bekannten schwedischen Bischofs Swedenborg, der
den Berichten nach ein ungewöhnlich befähigtes Medium gewesen sein
muß“), Zu einer positiven Stellungnahme ist Kant freilich nicht ge-