Full text: Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften

514 IV. Natur und Mensch 
Chemie beginnt und mit ihm zugleich dann jene „Umweltlabilität‘‘, 
die das Hauptcharakteristikum des Lebens ist und die von der seelischen 
Seite her gesehen, zum wenigsten bei den Tieren, sich als das Eingespannt- 
sein des Lebewesens in seine ganz spezifische „Umwelt“ im Sinne 
Uexkülls darstellt (s. oben S. 411). Es wurde ‚dort auch schon an- 
gedeutet, daß nun der zweite große Sprung in der Kurve der Schöp- 
fungsformen (s. Abb. 67) offenbar da eintritt, wo sich diese Umwelt 
zum wenigsten potentiell ins Unendliche erweitert. Der Mensch lebt 
nicht nur wie das Tier in „seiner Welt‘, sondern in „der Welt‘. Beweis 
genug dafür ist, daß er allein von allen Wesen imstande ist, sich, wenn 
auch nur mit vielen Schwierigkeiten, in die Umwelt der anderen hinein- 
zudenken. (Daß er dies kann, beweist am unzweideutigsten Uexküll 
selbst!) Es könnte sein, ja es ist sogar wahrscheinlich, daß diese Er- 
weiterung ins Unendliche sich ebenso auf die „Wirkwelt‘“, wie auf die 
„‚Merkwelt‘“ (in Uexkülls Ausdrucksweise) bezieht und daß das psycho- 
logische Gegenstück zu der ersteren Tatsache dann eben das Freiheits- 
gefühl darstellte. Planck hat, wie wir schon einmal oben (Anm. 150) er- 
wähnten, mit Recht darauf hingewiesen, daß ein Mensch, der mit Frei- 
heitsgefühl handelt und einer, der ohne dasselbe handelt, auch bei sonst 
völliger Gleichheit schon nicht mehr derselbe Mensch sind, und er sieht 
meines Erachtens mit Recht (ebenso wie Jordan in dem in Anm. 172 
angeführten Aufsatz) darin ein Gegenstück zur Heisenbergschen Un- 
bestimmtheit auf einer höheren Stufe. Solche Erwägungen lassen sich 
heute nicht mehr abweisen, und wenn eingeworfen werden sollte, daß 
aber damit doch die Grenze gegen die Metaphysik überschritten werde, 
so ist darauf zu erwidern: es ist nicht unsere Schuld, daß das heute sich 
als nötig erweist. Wenn schon die Physik sich solchen in das philosophische 
Gebiet hinübergreifenden Überlegungen nicht mehr verschließen kann, 
sollen wir uns da wundern, daß Biologie und Psychologie erst recht nicht 
um sie herumkommen? Es ist auch nicht unsere Schuld, daß nun 
einmal die neuen Ergebnisse der „parapsychologischen‘““ Forschung 
vorliegen. Wenn auch nur ein kleiner Teil davon zutrifft, so ist schon 
dadurch unser gesamtes Weltbild so erweitert, daß wir davon Notiz 
nehmen müssen, ob wir wollen oder nicht. Die Rolle des Seelischen 
hat sich in einem ganz ungeahnten Maße erweitert, das kann heute 
nicht einmal der krasseste Mechanist mehr bestreiten. Es als eine 
bloße sonderbare, bei einigen höheren Tieren auftretende Begleit- 
erscheinung gewisser nervöser Zentralorgane zu betrachten, mit der sich 
eigentlich ein ernsthafter Naturforscher nicht abzugeben braucht, geht 
keinesfalls mehr an. Wir haben es schon oben (S. 396) ehrlich und deut- 
lich gesagt und wiederholen es hier: Seelische Vorgänge gehören zur 
Naturwissenschaft mit genau demselben Rechte wie körperliche, da beide 
unzweifelhaft ganz gleich „wirklich“ sind. Mit dem bloßen „Behaviouris-
	        
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