Perspective.
Ill. Von der Perspective.
Die perspectivische Täuschung. Betrachtet man einen Würfel
(Fig. 182), dessen Kanten sämmtlich gleich lang sind, so beobachten
wir, dass dessen Kanten uns sehr verschieden lang erscheinen.
Die unserem Auge zugekehrte Fläche erscheint uns noch als Quadrat,
die anderen „verkürzen“ sich in auffallender Weise, die Flächen
erscheinen ganz unregelmässig, die parallelen Linien laufen
zusammen und convergiren nach einem Punkt o, dem sogenannten
Verschwindungspunkt. Aehnliches geschieht mit allen andern
Körpern: der hängende Menschenarm, oder die stehende Säule 8
erscheinen uns in ihrer vollen Länge, der gegen uns ausgestreckte
Arm, oder die liegende Säule (L)
sehen wir in der „Verkürzung“,
die Dimensionen schrumpfen zu-
sammen, schliesslich sehen wir statt
des Säulenschaftes nur noch die
kreisförmige Säulenbasis d und diese
wieder erscheint uns bald rund,
wenn sie uns ihre volle Fläche zu-
kehrt, bald als Ellipse, was sie
in der That gar nicht ist, und
; die parallelen Säulenkanten laufen
zusammen, ähnlich wie die Schienen
einer Eisenbahn. Dass wir diese Unwahrheit (denn eine solche ist
es) nicht als solche empfinden, liegt einfach in unserer Gewöhnung.
Wir wissen aus Erfahrung, dass der gegen uns gestreckte „ver-
kürzt“ erscheinende Arm länger ist, als es unserem Auge bei dieser
Stellung vorkommt, ebenso dass die scheinbar zusammenlaufenden
Kisenbahnschienen parallel sind. Wir corrigiren unaufhörlich die
Anschauungen unseres Gesichtssinnes. Hin Kind, das noch keine
Erfahrung hat, greift nach dem Monde.
Wie die liegende Säule nach vorn zu breiter wird, so geschieht
dieses auch mit einem Körpertheil, der gegen den Beschauer oder
gegen den photographischen Apparat ausgestreckt wird und es wird
um so auffälliger hervortreten, je näher der Apparat dem Ob-
ject steht. Daher muss man in der Photographie so oft vor-
gestreckte Hände und Füsse vermeiden, weil solche zu gross er-
scheinen. Will man die vorgestreckten Glieder aber abbilden, so
nehme man eine grössere Distanz (s. u.) und dem entsprechende
Linsen von langer Brennweite.
Wir zeigten oben, dass uns die Kanten des Würfels ungleich
lang erscheinen, obgleich sie alle gleich sind. Aufgabe des Malers
wie des Photographen ist es nun, diese Verkürzungen richtig
darzustellen, d. h. so wie sie unserem Auge erscheinen. Geschieht
dieses nicht, so erscheint sein Bild unwahr. Diese Gesetze der
Verkürzungen lehrt uns die Perspective.
Unser Auge ist eine Camera obscura mit einfacher Landschafts-
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