Full text: Die Geschichte der Römischen und Florentinischen Schule enthaltend (2. Abtheilung, I, 1. Band)

Einleitung. 
Es ist ein leichteres Unternehmen, die Erfindung 
der Künste philosophisch aus den Anlagen und Bedürf- 
nissen der menschlichen Natur zu erklären, als histo- 
risch darzuthun, wie es wirklich damit zugegangen. 
Bey der leßten Frage kommt es wieder darauf an, ob 
man einen gemeinschaftlichen Ursprung des ganzen Men- 
schengeschlechts von Cinem Stammvater annimmt oder 
nicht. Thut man jenes , so wird man die ältesten Er- 
findungen von dem Punkte, den man als den zuerst 
bevölferten annimmt , sey es nun Aegypten, Chaldäa 
oder Indien, sich über den Erdboden verbreiten lassen. 
Zäßt man hingegen kein Urvolk gelten, so werden meh- 
rere Bölker gleichen Anspruch auf die erste Erfindung 
der Künste. machen können; sie sind ohngefähr denselben 
Weg gegangen, ohne von einander gelernt zu haben. 
Es ist unläugbar, daß ein ursprünglicher Trieb der 
Nachahmung im Menschen sich schon bey den rohesten 
Buölkern mehr oder weniger offenbart. 
Die Plastik in weichen Materien kann vielleicht als 
die älteste unter den zeichnenden Künsten betrachtet wer? 
den, weil sie gar keine Absonderung in der Einbildungs- 
kraft vorausseßt , indem sie die Masse eines gegebenen 
Gegenstandes zugleich mit seinem äußern Scheine nach- 
ahmt, den die Mahlerey allein ergreift. Der Schat- 
ten der dem Sonnenschein oder einem andern" Lichte 
ausgeseßten Körper , ob er schon ihre Begränzung nur 
grob und unvollständig abbildet , kann doch den Mene 
schen die erste Vorstellung vom Umrisse gegeben ha- 
ben. Wenn dieser ohne Unterabtheilung der innern 
Theile ganz mit einer Farbe ausgefüllt wird , so entste- 
hen monoc<hromatische Bilder, wie die Alten sie 
nannten: unstreitig die. einfachste und älteste Art der 
Mahlerey. Es ist natürlich, daß es den noch kindi- 
schen Menschen früher um den Reiz der Farbe zu thun 
war,
	        
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