Full text: Die Malerei (3. Theil, 2. Abschnitt, 3. Heft)

Ganzes das ist, wovon es sich handeltz da ich nicht Stein, nicht Erz mehr 
habe, als dessen Grenze ich die Linie, dieß nur ideale Formwesen , ent- 
stehen lassen kann, so muß ich diese mit dem Griffel zeichnen, Die Linie 
ist nun für“ sich da, sichtbar für sich allein, sie will aber dem Anschauen- 
den nur sagen, er müsse sich einen Körper vorstellen, der auf allen den 
Puncten, welche der Strich angibt, aufhört. Durch diese Bedeutung des 
bloßen Umrisses ist es also Ernst geworden mit dem reinen Schein, 
es ist förmlich gestanden, was die Plastik eigentlich wollte, man kann 
keinen Augenbli mehr meinen, es gelte ästhetisch die Masse, nicht viel- 
mehr nur ihre Grenze als reinster Ausdruk der Kräfte, die, in ihr wirk- 
sam, den Körper auf allen Seiten eben bis zu dieser Grenze gebildet ha- 
ben, denn diesen Ausdruc> erzeuge ich am reinsten dann, wenn ich das Bild 
dieser Kräfte yon aller wirklichen Masse befreie und nur einen Anhalt 
gebe, damit der Zuschauer sie sich vorstelle. Dex Umriß ist daher gerade 
der idealste Theil der Malerei, eben nämlich, weil er die Vorstellung der 
Gestalt, deren Grenze er bezeichnet, ganz in das Innere, die Phantasie 
ves Anschauenden wirft: nur no< ein Schritt weiter, die Nachhülfe des 
Umrisses, ven der Künstler an eine Fläche heftet, weggelassen, statt dessen 
blos das Wort als Anhalt gegeben: und der Künstler malt unmittelbar 
in den Geist des -- nicht mehr Ansc<hauenden, sondern Hörenden, == wir 
sind in der Poesie, Wir werden bei der bestimmteren Erörterung dex ein- 
zelnen Momente darauf zurückkommen. Allein die Malerei besinnt sich, 
daß sie eine selbständige, ganze Form der bildenden Kunst sein will, nicht 
ein schattenhafter Ansaß, der rasch in eine andere Kunstweise einlenkt. 
Ihrem Wege gegenüber ist die Erscheinung des Umrisses als eines für 
sich Sichtbaren noh eine Unvollkommenheit, ein Schritt zum reinen Schein, 
aber zunächst noch falscher Schein, der Schein, als wäre das schöne Nichts 
der reinen Grenze ein Etwas. Wenn die Malerei in ihrer Kindheit bei 
di>en Umrissen beharrt, die sie nur dürftig mit Farbe ausfüllt, so ist. dieß 
halb grobsinnlich, halb übergeistig : jenes, weil das rein Negative der Ge- 
staltumschwebenden Grenze als ein so grell Augenfälliges sich behauptetz 
dieses, weil das Grelle des Umrisses und das Dürstige seiner Ausfüllung 
doh um so ausdrüclicher nur eine Nothhülfe ist für eine sehr frische 
Phantasie , welche äußerst rasch , verglichen mit der ganzen Aufgabe der 
Malerei allzurasc< vom Sichtbaren befriedigt in der Weise der Poesie 
sich innerlich das vom Künstler beabsichtigte Bild erzeugt. Die Malerei 
will ja das Sichtbare im vollen Umfange seiner Erscheinung selbst nach- 
bilden. Auf ihrem wahren und eigenen Weg muß sie also den falschen 
Schein, als wäre der Umriß Etwas, wieder aufheben, ihn zu einer Bor- 
arbeit herabseßen, die verschwindet, wenn sie das Ihrige geleistet hat, Zu- 
nächst gilt es, dem Lichte den Act seiner Aufzeigung der wirklihen Form, 
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