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hobenen, auch der romantischen Poesie nur mit wenigen großen Ausnahmen
anhängenden Mängel. Die Modernität ist an sich nicht zu verwerfen,
sie ist eine Form der Musik, welche deren Entwiclungs8gang mit sich bringt,
sie findet sich auch bei Beethoven in Werken, in welchen der Gefühlsinhalt
sich weniger hervordrängt, sie hat ihre Berechtigung in der stoffbeherrschenden,
selbstbewußt auftretenden Freiheit des musikalischen Gedankens, Ausdrus,
und Effects z aber daß hier die Gefahr des Effectmachens , des Brillanten,
des Inhaltslosen u. s. w. nahe liegt, und daß diese Modernität nur ein
Durchgangspunct ist, daß sie eine Sättigung mit concreterem Gefühlsinhalt
fordert, ist klar, da die Musik Kunst der empfindenden Phantasie ist. Eben-
darum kann sie auch nicht das ganze Gebiet der Musik beherrschen; es
bleibt neben dem absolut Modernen die Sphäre einfach melodischer Lyrik
namentlich durch die schön erblühende Liedcomposition vertreten, in welcher
nicht blos durch Opern-, sondern durch eine zahlreiche Reihe von Gesangs-
componisten auch in dieser Epoche noc< eine reiche Fülle ächter und ächt-
deutscher Musik zu Tage gefördert wird; die Blüthe der classischen deutschen
Poesie wirkt auch auf die Musik anregend und ruft die schönen Ton-
dichtungen eines Reichardt, Zelter, Schubert u. s. w. hervor, das
Volkslied wird besonders dur< Silcher wieder erweckt und die Gattung
des volksthümlichen Kunstliedes von ihm mit schönen Productionen leicht-
anmuthiger wie ernsterer und tieferer Art bereichert, und auch der seit Nägeli
aufblühende Männergesang zeigt, daß die moderne Kunstmusik, obwohl sie
auch in diesen eindringt, für sich allein dem Bewußtsein der Zeit nicht
genügt.
S. 832.
Während die Musik bei Meyerbeer in der Hper den Gipfel der Mo-
dernität erreicht, erlebt sie in Mendelssohn eine Nachblüthe, in welcher sie
sich der einseitigen Modernität zu begeben, sich mit reinem Gefühlsausdruck
und tiefem Gehalt wieder zu erfüllen, durch strengere Formen festere Haltung
und objectivere Gedankenentwicklung neu zu gewinnen strebt. Ein Gefühl, daß
die Musik der Gegenwart in die gefährliche Bahn eines mit den Tonmitteln
willkürlich waltenden hohlen Subjectivismus gerathen sei, macht sich deßunge-
achtet in immer bestimmterer Weise geltend und drängt Wagner zu dem
Persuche, eine dramatische Musik zu begründen, welche sich der Poesie als bloßes
Mittel zum Ausdruck ihres Inhaltes unterordnen , somit auf selbständige Ent-
wicklung der musikalischen Kunstformen verzichten soll. Daß die Musik eine
derartige Rückkehr zum antiken Standpunct vollziehen und damit den Kreislauf
ihrer Entwicklung beendigen werde, ist nicht anzunehmen, ein Fortschritt der
Hper aber allerdings nur von neuen, der empfindenden Phantasie sich darbie-
tenden objectiven gehaltvollen Stoffen zu erwarten.