Full text: Die Musik (3. Theil, 2. Abschnitt, 4. Heft)

1148 
hobenen, auch der romantischen Poesie nur mit wenigen großen Ausnahmen 
anhängenden Mängel. Die Modernität ist an sich nicht zu verwerfen, 
sie ist eine Form der Musik, welche deren Entwiclungs8gang mit sich bringt, 
sie findet sich auch bei Beethoven in Werken, in welchen der Gefühlsinhalt 
sich weniger hervordrängt, sie hat ihre Berechtigung in der stoffbeherrschenden, 
selbstbewußt auftretenden Freiheit des musikalischen Gedankens, Ausdrus, 
und Effects z aber daß hier die Gefahr des Effectmachens , des Brillanten, 
des Inhaltslosen u. s. w. nahe liegt, und daß diese Modernität nur ein 
Durchgangspunct ist, daß sie eine Sättigung mit concreterem Gefühlsinhalt 
fordert, ist klar, da die Musik Kunst der empfindenden Phantasie ist. Eben- 
darum kann sie auch nicht das ganze Gebiet der Musik beherrschen; es 
bleibt neben dem absolut Modernen die Sphäre einfach melodischer Lyrik 
namentlich durch die schön erblühende Liedcomposition vertreten, in welcher 
nicht blos durch Opern-, sondern durch eine zahlreiche Reihe von Gesangs- 
componisten auch in dieser Epoche noc< eine reiche Fülle ächter und ächt- 
deutscher Musik zu Tage gefördert wird; die Blüthe der classischen deutschen 
Poesie wirkt auch auf die Musik anregend und ruft die schönen Ton- 
dichtungen eines Reichardt, Zelter, Schubert u. s. w. hervor, das 
Volkslied wird besonders dur< Silcher wieder erweckt und die Gattung 
des volksthümlichen Kunstliedes von ihm mit schönen Productionen leicht- 
anmuthiger wie ernsterer und tieferer Art bereichert, und auch der seit Nägeli 
aufblühende Männergesang zeigt, daß die moderne Kunstmusik, obwohl sie 
auch in diesen eindringt, für sich allein dem Bewußtsein der Zeit nicht 
genügt. 
S. 832. 
Während die Musik bei Meyerbeer in der Hper den Gipfel der Mo- 
dernität erreicht, erlebt sie in Mendelssohn eine Nachblüthe, in welcher sie 
sich der einseitigen Modernität zu begeben, sich mit reinem Gefühlsausdruck 
und tiefem Gehalt wieder zu erfüllen, durch strengere Formen festere Haltung 
und objectivere Gedankenentwicklung neu zu gewinnen strebt. Ein Gefühl, daß 
die Musik der Gegenwart in die gefährliche Bahn eines mit den Tonmitteln 
willkürlich waltenden hohlen Subjectivismus gerathen sei, macht sich deßunge- 
achtet in immer bestimmterer Weise geltend und drängt Wagner zu dem 
Persuche, eine dramatische Musik zu begründen, welche sich der Poesie als bloßes 
Mittel zum Ausdruck ihres Inhaltes unterordnen , somit auf selbständige Ent- 
wicklung der musikalischen Kunstformen verzichten soll. Daß die Musik eine 
derartige Rückkehr zum antiken Standpunct vollziehen und damit den Kreislauf 
ihrer Entwicklung beendigen werde, ist nicht anzunehmen, ein Fortschritt der 
Hper aber allerdings nur von neuen, der empfindenden Phantasie sich darbie- 
tenden objectiven gehaltvollen Stoffen zu erwarten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.