Full text: Von Plato bis zum 19. Jahrhundert (1. Theil, 1. Abtheilung)

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Wörter Gefühl oder Sehnsucht ‚durch eine den Inhalt völlig deckende in 
Bezeichnung im Französischen übersetzt werden können, so ist die 
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Differenz zwischen modernen und antiken Sprachen überhaupt doch . 
noch gröfser, da der Sprachgeist ja mit der gesammten differenten 
Weltanschauung im innigsten Zusammenhang steht. Die daraus sich 
ergebende Inkongruenz zwischen dem antiken Wort und dem mo- 
dernen — eine Inkongruenz, welche ebenso sehr eine solche der Be- 
‚griffe selbst ist — stemmt sich nun gegen die philologische Reflexion 7 
und bleibt schliefslich als unlösbares Residuum gegen das’ moderne 
erständnifs bestehen.!) So nimmt das antike Wort oft den Schein 
on etwas Räthselhaftem, Geheimnifsvollem an, das dem reflektiren- % 
den Verstande als eine besondere Tiefe des antiken Denkens und N 
mpfindens überhaupt imponirt: dadurch kommt der Philologe z x 
einem instinktiven Respekt vor dem blofsen Buchstaben der Antike 
welcher dann für ihn ein ganz anderes Gewicht hat als der mo- 
derne, vielleicht bedeutsamere Buchstabe. Ja, dem antiken Wort 
wird dann wider Willen und Wissen gleichsam ein moralischer 
wang angethan, um zu seinem eigenen Besten eine Bedeutung 
zu gewinnen, die ihm im Grunde fremd ist. Im Allgemeinen kan 
man, unbeschadet der Gröfse und Hoheit der antiken Welt 
anschauung, wohl sagen, dafs der Weltgeist seitdem die Kinder 
schuhe ausgetreten und einige Fortschritte überhaupt gemacht habe, 
so dafs Mancherlei, was dazumal als etwas Tiefes und Sinnvolle 
erscheinen konnte, ohne Zweifel platt und trivial herauskommen 
müfste, wenn es heute gesagt würde. Von solchen Trivialitäten sind 
z. B. trotz aller sonstigen Schönheit der Darstellung und Reinheit der 
Sprache die platonischen Dialoge voll. Trifft nun der Philologe au 
solche Plattheit, die ihm aus modernem Munde, dem gegenüber er 
sich einfach als Mann von gesundem Menschenverstande verhalten 
könnte, kindisch vorkommen würde, so verwandelt sich für ihn die 
antik-Kindische sofort in „göttliche Naivetät“ u. s. f., oder er wen 
det auch wohl solchen einfachen Satz mittelst elastischer Kom- 
mentirung und Interpretation so lange hin und her, bis er schlie(s 
lich ganz unerwartet eine interessante Seite daran entdeckt odor 
wenigstens zu entdecken‘ glaubt, womit denn das Spiel gewonnen 
ist. Dafs durch solches Interpretiren und Interpoliren Manches_in 
Pr”. *) Um nur einige Beispiele anzuführen, mag an die antiken Ausdrücke des 70906, 
NT 06. AouOorLka erinnert werden, welche meist falsch durch „Leidenschaft“, „Sitte“ (ode 
gar „Sittlichkeit“), „Harmonie“ übersetzt zu werden pflegen. Selbst der geistvolle und 
gewifs nichts weniger als pedantische Stahr ist in seiner trefflichen Uebersetzung der 
„Poetik“ des Aristoteles zuweilen durch die Inkongruenz der griechischen und deutschen 
Bezeichnungen in Verlegenheit gerathen,
	        
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