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praktischen Bauführer — um in diesem architektonischen Vergleich.
zu bleiben” — ihre wesentlichen Dienste zur Verwirklichung des
Bauwerks leisten. Wir wollen damit sagen, dafs der allgemeine
Bauplan zwar das Princip, d. h. die ideelle Bedingung für die
praktische Ausführung enthält, dafs aber zur praktischen Verwirk- Den
Jichung mehr gehört als ein gezeichnetes Stück Papier. Kants ml
Kritik der ästhetischen Urtheilskraft ist eine solche theoretische Zeich- nen
nung zu einem philosophischen Gebäude der Aesthetik, und da er mn
nur wissenschaftlicher Architekt, nicht zugleich praktischer Baumeister Jen
war, d. h. nicht die konkreten Requisite seines Gebiets hinlänglich a0
genau kannte, um alle Details der Ausführung in Rechnung zu brin- zur
gen, so ist es erklärlich, dafs seine Berechnung über die Mauer- wird
stärke gewisser Pfeiler seines Systems, über die Spannkraft gewisser sol
Bogen u. s. f. sich in_ der praktischen Anwendung als unrichtig sche
erwies. aus
Aber neben denjenigen Philosophen, welche man als Kantianer tike
zu bezeichnen pflegt und die in der That zum gröfsten Theil nur dA
philosophische Kärrner sind, giebt es andere Geister — theils in- Ban
nerhalb theils aufserhalb der Schule —, welche den Kant’schen Is
Gedanken nicht blos ausbauten, d. h. ausbeuteten, sondern auf sei-
nem Grund und Boden mit wesentlicher Modificirung des Plans neue 1
Gebäude errichteten oder doch wenigstens den Kant’schen Bau durch Te
neue Flügel und Stockwerke erweiterten. Unter Kantianer hat man
also einmal die eigentlichen Vertreter der Kant’schen Schule zu ver-
stehen —: diese leisten mit geringer Ausnahme wenig mehr, als a
‚dafs sie die Kant’sche Kunstanschauung durch nüchterne und geist- I
lose Schematik verwässern; sodann aber auch Diejenigen, welche
— ohne sich als Philosophen von Fach, d. h. als doktrinäre Theo-
retiker, zu geriren — den echten Spiritus des Kant’schen Denkens
in sich aufgenommen und sich dadurch innerlich begeistet kaben!
zu frischer und grofsentheils tieferer Erfassung des Inhalts. Zu
diesen gehören eine Reihe hervorragender Geister, wie Jean Paul,
Wilhelm von Humboldt, besonders aber Schiller, deren zwar
systemlose, aber doch vielfach in zusammenhängenden Abhandlun-
gen über einzelne Principienfragen niederlegte Kunstanschauungen!
wir unter der allgemeinen Bezeichnung der „nachkantischen Popu-
larästhetik“ zusammenfassen werden. — Von diesen sehen wir hier
noch vorläufig ab, um eine kurze Uebersicht über die „Kantianer
im engeren Sinne“ zu geben.
988. Es kann natürlich nicht davon die Rede sein, alle die
mehr oder weniger abstrakten und trocknen Systeme, welche unmit-