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behaupten, dafs, wo im Weibe die Sittlichkeit den verständigen
N harakter rigoroser Moralität annimmt, in demselben Grade die An-
muth verschwindet, ohne dafür einen Ersatz in der dem Manne
eigenthümlichen Würde zu gewähren. — Diese Reflexion führt aber-
mals auf die Naturanlage als Bedingung der weiblichen Anmuth
nd damit zu dem Satze zurück, dafs, wo immer sich in der Natur
a eine freie, d. h. harmonische Lebensäufserung, eine seelische Bewe-
Ks gung findet, auch von Anmuth die Rede sein darf und mufs. Dafs
PA Schiller diesen Satz nicht anerkennt, ist seine Einseitigkeit. ;
en 312. Bei dem Uebergange zu dem zweiten Theil der Abhand-
r iG lung, nämlich zur Bestimmung des Begriffs der Würde setzt Schiller
nn ie diese sogleich mit der Anmnth in einen Gegensatz, indem er das
pm Axiom aufstellt: „Sowie die Anmuth Ausdruck einer sc hönen
a . Seele ist, so ist Würde Ausdruck einer erhabenen Gesin-
—_ nung“). — Dafs er hier den Begriff des Krhabenen einführt,
a ohne ihn zu definiren, könnte dadurch als gerechtfertigt. a
Ka werden, dafs er diesem Begriff — und zwar nach zwei Seiten hi
nämlich dem Erhabenen der Natur?) und dem künstlerisch-Erhabe-
€ x nen, dem Pathetischen, — besondere Abhandlungen gewidmet hat,
N ve ihn also als bekannt voraussetzen kann. Allein hier ist weder von
< "a lem einen noch von dem andern die Rede. So verschieden beide
nn ur Arten sind, so stimmen sie doch in dem Punkte zusammen, dafs
Panne I sie ein subjektiv-Erhabenes darstellen, d. h. dafs der Eindruck,
En den die angeschauten Gegenstände auf uns hervorbringen, ein er-
Sem €100 habener ist. Hier dagegen ist von dem objektiv-Erhabenen, vom
MU irhabenen der Gesinnuug, die Rede, und dies ist noch nirgend er-
A klärt. Somit dürfen wir vermuthen, dafs die Untersuchung über
nn den Begriff der Würde eben auf die Definition des Erhabenen der
1 esinnung abzielt. Zweitens ist zu fragen, wie, wenn die Anmuth
einerseits als Grazie in einen Gegensatz gegen die architektoni-
| sche Schönheit, andererseits gegen die Würde als Erhaben-
a) heit der Gesinnung gestellt wird, sich denn nun diese beiden Seite
OeradeZL er Anmuth zu einander verhalten. Sind diese Begriffe sämmtlich
koordinirt, oder theilweise subordinirt?. — diese Frage war zuerst
a u beantworten. Schiller geht zuerst von der architektonischen In
heit aus, setzt dieser die Anmuth und letzterer nunmehr wieder die
Würde entgegen: folgerichtig mülste also die Würde mit der archi-
ektonischen Schönheit zusammenfallen; wovon natürlich die Rede
') A. a. O. S. 440 ff, — ?) Von diesem ist schon oben im metaphysischen Ab
schnitt. die Rede gewesen (S. oben No. 298, 299).