Full text: Von Plato bis zum 19. Jahrhundert (1. Theil, 1. Abtheilung)

613 
behaupten, dafs, wo im Weibe die Sittlichkeit den verständigen 
N harakter rigoroser Moralität annimmt, in demselben Grade die An- 
muth verschwindet, ohne dafür einen Ersatz in der dem Manne 
eigenthümlichen Würde zu gewähren. — Diese Reflexion führt aber- 
mals auf die Naturanlage als Bedingung der weiblichen Anmuth 
nd damit zu dem Satze zurück, dafs, wo immer sich in der Natur 
a eine freie, d. h. harmonische Lebensäufserung, eine seelische Bewe- 
Ks gung findet, auch von Anmuth die Rede sein darf und mufs. Dafs 
PA Schiller diesen Satz nicht anerkennt, ist seine Einseitigkeit. ; 
en 312. Bei dem Uebergange zu dem zweiten Theil der Abhand- 
r iG lung, nämlich zur Bestimmung des Begriffs der Würde setzt Schiller 
nn ie diese sogleich mit der Anmnth in einen Gegensatz, indem er das 
pm Axiom aufstellt: „Sowie die Anmuth Ausdruck einer sc hönen 
a . Seele ist, so ist Würde Ausdruck einer erhabenen Gesin- 
—_ nung“). — Dafs er hier den Begriff des Krhabenen einführt, 
a ohne ihn zu definiren, könnte dadurch als gerechtfertigt. a 
Ka werden, dafs er diesem Begriff — und zwar nach zwei Seiten hi 
nämlich dem Erhabenen der Natur?) und dem künstlerisch-Erhabe- 
€ x nen, dem Pathetischen, — besondere Abhandlungen gewidmet hat, 
N ve ihn also als bekannt voraussetzen kann. Allein hier ist weder von 
< "a lem einen noch von dem andern die Rede. So verschieden beide 
nn ur Arten sind, so stimmen sie doch in dem Punkte zusammen, dafs 
Panne I sie ein subjektiv-Erhabenes darstellen, d. h. dafs der Eindruck, 
En den die angeschauten Gegenstände auf uns hervorbringen, ein er- 
Sem €100 habener ist. Hier dagegen ist von dem objektiv-Erhabenen, vom 
MU irhabenen der Gesinnuug, die Rede, und dies ist noch nirgend er- 
A klärt. Somit dürfen wir vermuthen, dafs die Untersuchung über 
nn den Begriff der Würde eben auf die Definition des Erhabenen der 
1 esinnung abzielt. Zweitens ist zu fragen, wie, wenn die Anmuth 
einerseits als Grazie in einen Gegensatz gegen die architektoni- 
| sche Schönheit, andererseits gegen die Würde als Erhaben- 
a) heit der Gesinnung gestellt wird, sich denn nun diese beiden Seite 
OeradeZL er Anmuth zu einander verhalten. Sind diese Begriffe sämmtlich 
koordinirt, oder theilweise subordinirt?. — diese Frage war zuerst 
a u beantworten. Schiller geht zuerst von der architektonischen In 
heit aus, setzt dieser die Anmuth und letzterer nunmehr wieder die 
Würde entgegen: folgerichtig mülste also die Würde mit der archi- 
ektonischen Schönheit zusammenfallen; wovon natürlich die Rede 
') A. a. O. S. 440 ff, — ?) Von diesem ist schon oben im metaphysischen Ab 
schnitt. die Rede gewesen (S. oben No. 298, 299).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.