Full text: Von Fichte bis auf die Gegenwart (1. Theil, 2. Abtheilung)

trachtung erhellt die Unwahrheit dieses Satzes schon daraus, dafs 
‚in jedem Volke zu jeder Zeit Kinder, Männer und Greise 
„in gleichem Verhältnifs bestehen, mithin die geistige 
und körperliche Kraft eines Volkes, im Gegensatz zum einzelnen 
„Menschen, eine im Durchschnitt unveränderliche ist“!). — 
jer zeigt sich, bis zu welcher Rohheit des Mifsverständnisses eines 
einfachen Gedankens der bornirte Materialismus fortzugehen vermag 
Einer Widerlegung bedarf dergleichen hoffentlich nicht. 
Doch genug und übergenug. Es ist ein betrübendes Zeichen 
es Mangels an wahrem wissenschaftlichen Ernst in unsrer Zeit, 
dafs solche Bücher überhaupt mit dem Anspruch aufzutreten wagen, 
hilosophie enthalten zu wollen. "Todtgeboren, wie sie freilich sind, 
durfte dennoch hier von ihnen ein Beispiel aus demselben Grunde 
icht unerwähnt bleiben, aus welchem in einer Geschichte der Sit- 
en auch der Verbrechen gedacht werden mufs. Aber um so ausdrück- 
licher hat die wissenschaftliche Behandlung der Aesthetik bei dem 
Versuch der Darstellung eines neuen Systems die Pflicht, sich wür- 
dig zu zeigen ihrer grofsen Vorgänger, der Werke eines Weifse, Hegel 
Vischer, indem sie, ihren Spuren folgend und diese selbst für die 
Auffindung des richtigen Weges, wo sie von ihm ablenkten, be- 
nutzend, das Ziel zu erreichen bestrebt ist, zu dem jene mit dem 
ohen Muth der Begeisterung und der tiefen Hingabe an die Idee 
die Bahn gebrochen und die Aussicht eröffnet haben. 
Bis hieher nun ist die Aesthetik gediehen, und es bleibt jetzt 
— am Schlusse der Geschichte der Aesthetik — nur noch übrig, 
aus den durch sie gewonnenen Resultaten die Formulirung der fer- 
neren Aufgabe zu extrahiren, d.h. denjenigen höheren Standpunkt 
zu definiren, von welchem eine zugleich tiefere und in sich kon- 
sequentere Auffassung des grossen Gebiets, welches das Schöne und 
die Kunst einschliefst, möglich und nothwendig ist. Diese Definition 
ist der Gegenstand einer besonderen Schlufsbetrachtung?). — 
Nur eine Bemerkung sei uns hier noch gestattet, dal(s diese 
Geschichte der Aesthetik, sofern sie sich wesentlich auf eine histo- 
rische Kritik der ästhetischen Principien beschränken 
mulfste, auf pragmatische Vollständigkeit keinen Anspruch erheben 
wit: es sind weder alle Aesthetiker überhaupt aufgenommen, noch 
auch von den Werken der aufgenommenen Aesthetiker vollständige 
Darstellungen gegeben. Gleichwohl ist diese Geschichte immerhin die, 
ausführlichste, welche bis jetzt existirt 
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