1158
lichen Absterben vorausging und es vorbereitete, mufste die Kunstlehre
„noch kurz vor ihrem Untergange Blüthen treiben, die, wie wir
uns so eben überzeugten, eher die „schönste Entwicklungszeit als
„Untergang und Absterben zu weissagen schienen“.
So stehen wir also vor einem Räthsel? Nicht, wenn, statt des blos
verständigen Auseinanderhaltens der beiden Seiten, die so als in einem will-
kürlich vorausgesetzten Parallelismus gefafst werden, sie vielmehr in ihre
Wahrheit, nämlich als zu einander sich negativ verhaltende Momente, be-
griffen werden. Diese Stellung der instinktiven Praxis zu der re-
flektirenden Theorie hat auch Vischer mit den Worten: „Was in Ge-
„danken als ein Ganzes auferstehen soll, mufs in der Wirklichkeit abge-
„blüht sein“, ausdrücken wollen, obgleich er diesem Ausspruch eine zu
weit reichende Bedeutung verleiht. — Aber eine andere Bemerkung
Müller’s, welche doch wieder für sein inniges Verständnifs des eigentlichen
Wesens des Alterthums ein werthvolles Zeugnifs liefert, ist die, dafs sich
in der Auffassungsweise des Plotin — gleichsam als ein Symptom des
nahenden Bruchs der antiken Welt — bereits ein „Hinausragen des
„Kunstgedankens über die Kunstform“ ankündige, womit, wie er aus-
drücklich hinzusetzt, eigentlich der Boden des Alterthums bereits verlassen
sel. In der That reicht der Geist Plotins, obwohl er noch mit allen
Wurzelfasern in der Antike haftet, mit seinen Gedankenblüthen doch
gleichsam vorahnend schon in die neue Zeit hinein. Es ist, als ob ein
vorzeitig verirrter Strahl von der Morgenröthe der modernen Spekulation
in ihm gezündet, der dann freilich wieder in der langen Dämmerung des
Mittelalters mit ihrer Verwirrung und Zerstörung erlosch, um die letzten
Spuren der Verwesung des Alterthums zu vertilgen und den Boden, wenn
auch mit Blutströmen gedüngt, für den Saamen einer neuen Zeit empfäng
lich _zu machen.
1, Zu Nro. 81 (S. 78): ... weil die nachahmende Kunst nich
Zweckmäfsiges schajfen_könne. . "N
Dafs auch heutigen Tages bei gewissen Nationen hinsichtlich de
eigentlichen Wesens der Kunst noch ein ähnlicher Standpunkt einge-
nommen wird, geht schon aus der Thatsache hervor, dafs Das, was
wir Deutschen schlechtweg „Kunst“ in der specifischen Bedeutung dieses
Worts nennen, bei den Franzosen und Engländern nicht ohne den Zusatz
beau oder gar fine verständlich ist. Beaux-arts und fines-arts sind die
Künste im Gegensatz zum Gewerbe. Art schlechthin umfafst alles
Handwerkliche, ja Industrielle, ebenso wie nach anderer Seite hin philo-
Son das Mechanische. Schon Hegel hat sich über den Mifsbrauch des
Worts philosophy bei den Engländern lustig gemacht, indem er nach-
weist, dafs Thermometer und Barometer bei ihnen als philosophische In-
strumente gelten und selbst ein Minister von einer philosophischen Methode
der Ackerbebauung redete. Als Belag für den Mifsbrauch des Worts art
xann das Citat eines Berichts über eine gegen Ende 1870 stattgefundene
Sitzung des londoner Kunstvereins (society of art) hier seine Stelle finden.
Es heifst darin: „In der jüngsten Sitzung der londoner Society of Arts
„verlas Herr Silber eine Abhandlung über eine neue Methode, Städte,
Fabriken und Wohnhäuser vermittelst vegetabilischer ode
Mineralöle zu beleuchten. Die Methode bezweckt, von einem meh-
„rere Gallonen Oel fassenden, unter dem Dache des Hauses angebrachten
„Reservoir das Oel durch Röhren (wie_dies_mit dem Wasser geschieht)
„über das Haus zu verbreiten.“