Full text: Von Fichte bis auf die Gegenwart (1. Theil, 2. Abtheilung)

del und Shakespeare. Zur Aesthetik der Tonkunst. S. 4) meint, Aristoteles 
habe darunter „nichts Anderes als die zum Lehren und Lernen bestimmte 
Spielmusik“ verstanden. „Aber“ — setzt er hinzu — „auch diesen Thei 
„hätte Aristoteles nicht auszunehmen brauchen, denn er wird damals 
„nicht anders wie heute, meistentheils nur aus zusammengewürfelten und 
„durcheinandergeschüttelten, mehr noch platt entlehnten als platt _nach- 
„geahmten Tonstücken bestanden haben“! 
Gegen diese geistreiche Auslegung haben wir nichts zu bemerken, 
wohl aber gegen die Müller’sche, wenigstens in Hinsicht des angegebenen 
Grundes, Aristoteles habe hier die konventionelle Bedeutung des Nach- 
ahmens angewandt. Dem widerspricht nämlich eine Stelle in den Pro- 
blemen (XIX, 10), wo er — ohne solchen Grund zu haben — von einer 
nicht nachahmenden Musik spricht. Er bemerkt nämlich dort (fragweise): 
woher es komme, dafs, wie das Singen ohne Worte nicht so angenehm 
sei als die Wirkung der Instrumente, so auch diese nicht so angenehm 
klingen, wenn sie nicht nachahmen (&&v un uıunzaı). Wenn man aus 
dieser Parallelisirung von Singen ohne Worte und nicht nachahmender, 
usik einen Schlufs auf den Inhalt des letzteren Ausdrucks ziehen darf. 
so kann er damit nichts anderes gemeint haben als die reine Instrumen 
almusik, d. h. diejenige, welche sich auch nicht einmal der Melodie 
nach an einen Gesang anlehne, sondern ganz selbstständig wirke. 
Dieser Zusatz scheint deshalb wichtig, weil das Spielen einer sonst be 
kannten Melodie, wenn auch ohne Gesang, im aristotelischen Sinne nach- 
ahmend wäre, obgleich es doch auch blofse Instrumentalmusik ist. Also: 
die Instrumentalmusik überhaupt als solche ist — meint Aristoteles 
entweder und zwar dem gröfsten Theil nach, weil meistens sang- 
bare Melodien gespielt werden, nachahmend, oder aber, wo dies nicht 
der Fall, nicht. Dies möchte wohl, namentlich wenn man an den Unter- 
schied der damaligen (freilich uns ihrem Wesen nach ziemlich unbekann- 
en) Instrumentalmusik von der heutigen denkt, die einfachste und natür- 
ichste Deutung der Stelle sein; namentlich wenn man damit den starken 
Tadel in Verbindung bringt, den Aristoteles gegen die blofse Kunst 
ertigkeit des Virtuosenthums_ausspricht. Vergl. im Text S. 175 und be 
sonders 176 
23. Zu Nro. 82 (S. 155): Die Poesie. Begriff und HEintheilung 
a 
Es kann nach den zahlreichen Schriften und Abhandlungen 
welche über die Poetik (mze01 z0mttMHS) des Aristoteles veröffentlicht *? 
worden sind, als bekannt vorausgesetzt werden, dafs bei Weitem nicht 
Alles, was Aristoteles über Dichtkunst geschrieben hat, auf uns gekom- 
men ist, und dafs selbst, was wir wirklich als von ihm herrührend be- 
sitzen, sich in einem Zustande befindet, der es mindestens zweifelhaft 
erscheinen läfst, ob auch nur der gröfsere Theil davon in der uns erhal- 
tenen Form dem Aristoteles wirklich zuzuschreiben sei. Ohne daher auf 
die gediegenen philologischen Umtersuchungen eines_H. Ritter, Biese, 
Fa 
achm, VII, p. 453), dafs er über die Entstehung und die Grundlage der Poetik seine 
eigenen Gedanken habe, über die er sich „nicht ohne Weitläufigkeit äufsern könne“ 
setzt aber hinzu, dafs „über die Tragödie uns die Zeit so ziemlich Alles daraus ge 
„gönnt habe“, und legt schliefslich auf die darin enthaltenen Gesetze unbedingten 
Werth 
1174
	        
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