Full text: Von Fichte bis auf die Gegenwart (1. Theil, 2. Abtheilung)

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‚weil sie nämlich nicht, wie die öt@voıx selbst Ausdrucksweisen sind, son- 
dern rein innerlicher, zuständlicher Natur, so können sie sich nur als 
individuelle Färbung des Handelns in diesem gleichsam wiederspiegeln. 
Alles dies pafst nur auf Stimmungen, auf Charaktere dagegen ga 
nicht. Ganz falsch und gegen die ausdrückliche Definition der Tragödi 
seitens des Aristoteles, dafs sie nämlich den Zweck hat, Furcht un 
Mitleid mit dem Helden zu erregen und dadurch kathartisch zu wirken, 
würde aber dieser Satz herauskommen, wenn die #0 mit Charakter 
übersetzt würden. Denn dann müfste Aristoteles ja vielmehr im Gegen- 
heil behaupten, dafs die Handelnden deshalb grade handeln, um ihre 
harakter darzustellen; und am allerwenigsten könnte er — der später 
je der tragischen Wirkung nöthige Qualität des Charakters so gena 
bestimmt, nämlich dafs er weder absolut tugendhaft noch ganz schlech 
sein dürfe, sondern im Wesentlichen ein würdiger Charakter, aber mit 
ehlern: behaftet — behaupten (wie er es im $ 11 thut), dafs „ein 
„Tragödie wohl ohne %0%, nicht aber ohne Handlungen denkbar sei“ 
wenn hier unter 70%, statt Stimmungen, Charaktere zu verstehen seien 
namentlich da er als Erläuterung hinzufügt, gerade „wie in der Malerei 
„Zeuxis, im Gegensatz zum Polygnotus, keinen Werth auf Darstellun 
„von Stimmungen legte, sondern (cf. Poetik Cap. 25. 17) mehr idealisirte. 
je Anmerkung Stahrs zu der obigen Stelle beweist eben durch die Ver- 
eblichkeit des Versuchs, diesen für uns nur scheinbaren Widerspruch 
zu erklären, dafs Charakter in keiner Weise dem Sinn des 008g ent- 
spricht. So auch die Bemerkung des Aristoteles ($ 13), dafs „die An- 
„fänger im Dichten viel leichter mit dem sprachlichen Ausdruck und mi 
„Schilderung von Stimmungen fertig würden als mit der Ver- 
„knüpfung des Thatsächlichen“; was er wohl schwerlich behaupten möchte, 
enn, wie Stahr übersetzt, er dabei an „Schilderung von Charakteren 
edacht hätte. Denn dies ist bekanntlich das Allerschwerste, währen 
die Stimmung, ’als diese unwillkürliche Abspiegelung der Seele in einem 
bestimmten Moment, allerdings sehr leicht zu_schildern si 
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5. Endlich haben wir noch eine Stelle im IX. Kapitel ($-17), in 
welcher Aristoteles, nachdem er ‘die 8ı%yoı@x als das Aussprechen von 
+xedanken, das Reflektiren in der Rede, definirt hat, von dem 7906 sagt, 
es sei „diejenige Qualität (zocodror), durch welche die Neigung (des 
Handelnden) offenbar werde (6 Ön2A07 zur z00@0&0w), was Stahr ganz 
unberechtigt übersetzt mit: „Dasjenige, woraus sich offenbart, von wel- 
„Cher Art ihre sittliche Absicht ist.“ Die Stelle aus der Rheto- 
rik. (IIT, 16) beweist nichts für diese Auffassung. Denn hier fragt Ari- 
stoteles, „was es sei, das einer Erzählung des Thatsächlichen die ethi- 
„Sche Färbang verleihe?“ und beantwortet dieselbe dahin, dafs „dies 
„erstens die Kundgebung der Neigung (7zg0@i080t6) sei, denn hievon 
„hinge der Inhalt des 7006 ab.“ — Stahr freilich, indem er ZQ0«iQEGIS 
hne Weiteres mit Absicht und HToS mit Charakter übersetzt, legt da- 
durch schon in den Beweis hinein, was erst bewiesen werden soll. 
Wenn nun Aristoteles (Poet. VI. 17) hinzufügt, dafs „diejenigen Reden 
„kein Ethos hätten, in denen nicht offenbart würde, was der Redende 
„erstrebe oder was er fliehe“, so deutet dies unzweifelhaft darauf hin, 
dafs er bei der Proairesis gar nicht an Absicht — diese gehört vielmeh 
der Öıdyoıx an —, sondern lediglich an Neigung in dem doppelten Sin 
von Sympathie und Antipathie denkt. Stimmungen der Seele sind aber 
immer entweder sympathisch oder antipathisch, während bei der Absich 
ur das Ziel des Handelns in Frage kommt.
	        
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