Full text: Gotische Bildteppiche aus Frankreich und Flandern

EINLEITUNG 
”ENN wir den wichtigsten Unterschied zwischen Erzeugnissen des 
A Kunstgewerbes und Werken der Malerei und Plastik durch die 
V stärkere Betonung und Hervorhebung des Zweckes bei ersteren 
gegenüber der ausschließlich künstlerischen Wirkungsabsicht bei den letzteren 
zu charakterisieren versuchen, so scheinen die gewirkten Bildteppiche, die bis- 
her fast immer in das Gebiet des Kunstgewerbes verwiesen wurden, diese 
Grenzscheide niederzureissen. 
Denn wenn das Behängen der Wände mit Teppichen auch ursprünglich prak- 
tischen Bedürfnissen diente, wenn auch der Bildteppich in seiner Wiegenzeit 
vornehmlich als Wandverkleidung, als Kälteschutz, als mobiles Ausstattungs- 
Objekt verwendet wurde, das man nach Belieben von Ort zu Ort, von Schloß 
zu Schloß, von Lager zu Lager mit sich führen konnte, um kahle Räume 
wohnlich zu machen, so tritt mit seiner wachsenden Verbreitung sein Nutzzweck 
immer mehr hinter seiner Schmuckbestimmung zurück. Seine praktische 
Bedeutung weicht immer mehr den rein künstlerischen Aufgaben der Flächen- 
dekoration, dem Bestreben, als Raumzier zu dienen, wie Fresko oder Tafelbild. 
Dieser Wandel der Ziele läßt die Ausschaltung dieses Kunstzweiges aus dem 
Gebiete des Kunstgewerbes und seine Einbeziehung in die Geschichte der 
Malerei gerechtfertigt erscheinen. 
War die Wandteppicherzeugung, in deren Dienst die größten Künstler standen, 
in ihren Anfängen auch durch dieSprödigkeit ihrer technischen Mittel auf eine 
gewisse Ökonomie des künstlerischen Ausdrucks angewiesen, — es sind dies 
Widerstände, die die fortschreitende technische Vervollkommnung fast gänzlich 
zu überwinden vermochte, — so ist sie doch während ihrer ganzen erfolgbaren 
Entwicklung in einer deutlich erkennbaren, wenn auch nicht gleichbleibenden 
Relation zur Malerei gestanden. Sei es, daß sie sich an die Miniaturmalerei an- 
lehnte, sei,es, daß sie die Wirkung von Wandgemälden zu erzielen strebte, sei 
es, daß sie Tafelbilder nachzuahmen suchte. Ihre Bemühungen um Schaffung 
eines selbständigen Wirk- oder Tapetenstils, die insbesondere im 15. Jahr- 
hundert auftauchen, sind nur als episodische Erscheinungen zu werten. Doch 
wird es erst durch die Erhellung des jeweiligen Verhältnisses zur Malerei 
möglich, den ureigensten Wirkungsbereich des Bildteppichs, seine Bedeutung 
als Wandbespannung, als Träger rein dekorativer Werte und den dieser Bestim-
	        
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