EINLEITUNG
”ENN wir den wichtigsten Unterschied zwischen Erzeugnissen des
A Kunstgewerbes und Werken der Malerei und Plastik durch die
V stärkere Betonung und Hervorhebung des Zweckes bei ersteren
gegenüber der ausschließlich künstlerischen Wirkungsabsicht bei den letzteren
zu charakterisieren versuchen, so scheinen die gewirkten Bildteppiche, die bis-
her fast immer in das Gebiet des Kunstgewerbes verwiesen wurden, diese
Grenzscheide niederzureissen.
Denn wenn das Behängen der Wände mit Teppichen auch ursprünglich prak-
tischen Bedürfnissen diente, wenn auch der Bildteppich in seiner Wiegenzeit
vornehmlich als Wandverkleidung, als Kälteschutz, als mobiles Ausstattungs-
Objekt verwendet wurde, das man nach Belieben von Ort zu Ort, von Schloß
zu Schloß, von Lager zu Lager mit sich führen konnte, um kahle Räume
wohnlich zu machen, so tritt mit seiner wachsenden Verbreitung sein Nutzzweck
immer mehr hinter seiner Schmuckbestimmung zurück. Seine praktische
Bedeutung weicht immer mehr den rein künstlerischen Aufgaben der Flächen-
dekoration, dem Bestreben, als Raumzier zu dienen, wie Fresko oder Tafelbild.
Dieser Wandel der Ziele läßt die Ausschaltung dieses Kunstzweiges aus dem
Gebiete des Kunstgewerbes und seine Einbeziehung in die Geschichte der
Malerei gerechtfertigt erscheinen.
War die Wandteppicherzeugung, in deren Dienst die größten Künstler standen,
in ihren Anfängen auch durch dieSprödigkeit ihrer technischen Mittel auf eine
gewisse Ökonomie des künstlerischen Ausdrucks angewiesen, — es sind dies
Widerstände, die die fortschreitende technische Vervollkommnung fast gänzlich
zu überwinden vermochte, — so ist sie doch während ihrer ganzen erfolgbaren
Entwicklung in einer deutlich erkennbaren, wenn auch nicht gleichbleibenden
Relation zur Malerei gestanden. Sei es, daß sie sich an die Miniaturmalerei an-
lehnte, sei,es, daß sie die Wirkung von Wandgemälden zu erzielen strebte, sei
es, daß sie Tafelbilder nachzuahmen suchte. Ihre Bemühungen um Schaffung
eines selbständigen Wirk- oder Tapetenstils, die insbesondere im 15. Jahr-
hundert auftauchen, sind nur als episodische Erscheinungen zu werten. Doch
wird es erst durch die Erhellung des jeweiligen Verhältnisses zur Malerei
möglich, den ureigensten Wirkungsbereich des Bildteppichs, seine Bedeutung
als Wandbespannung, als Träger rein dekorativer Werte und den dieser Bestim-