1. Kapitel. Die soziale Lage Englands beim Anbruch der neuen Zeit. 147
gelang, eine genügend grofse Bodenfläche zusammenzubringen. Für die
Richtung aber, die die Weidewirtschaft nahm, mufste der Umstand
mafsgebend sein, dafs gleichzeitig in England selber wie auch in be-
nachbarten Strichen des Kontinents die Wollindustrie aufblühte und somit
einen grofsen Markt für die Produkte der Schafzucht schuf. So war
für die Dauer eines Jahrhunderts die Tendenz gegeben, Ackerland in
Weideflächen zu verwandeln.) Und die damaligen Grundherren waren
nicht durch feudal-patriarchalische Überlieferungen zurückgehalten, an
die brutale Verfolgung ihres Geschäftsinteresses zu denken: denn „den
alten Feudaladel hatten die grofsen Feudalkriege verschlungen, der
neue war ein Kind seiner Zeit, für welche Geld die Macht aller Mächte,
— Verwandlung von Ackerland in Schafweide ward also sein Losungs-
wort“ (KARL MARrx). So gingen die grofsen Eigentümer daran, zunächst
ihren eigenen Grund und Boden zum Zwecke der V erwandlung in
Schaftriften einzuhegen, — wodurch natürlich sofort eine grofse Anzahl
ländlicher Tagelöhner ausgetrieben wurde. Das genügte ihnen aber bald
nicht mehr, und so nahmen sie einmal einen Teil der Gemeinweiden
ung dann weiter das von den selbstwirtschaftenden Bauern bearbeitete
Land, soweit sie ihnen davon zu Zinsen und Fronden verpflichtet
waren, für sich in Anspruch; und thatsächlich gelang ihnen auch in vielen
Fällen die Austreibung. der Bauern. „Um diese Zeit — heifst es in
BAcos Geschichte Heinrichs VII. — mehrten sich die Klagen über Ver-
wandlung von Ackerland in Weide, leicht zu versehen durch wenige
Hirten; und Pachtungen auf Zeit, auf Lebzeit und auf Jährliche -Kün-
digung wurden in Domanialgüter verwandelt. König und Parlament
mufsten Mafsregeln ergreifen wider diese entvölkernde Usurpation der
Gemeindeländereien und die ihr auf dem Fufse folgende entyölkernde
Weidewirtschaft.“
Die zeitgenössischen Juristen sind nicht ganz einig in der Beurteilung
des geschilderten Vorgehens der Grofseigentümer. So sagt LITTLETON
(etwa 1480): „Obgleich einige Bauern nach dem auf diesen Gütern her-
kömmlichen Brauche ein Erbrecht haben, so besitzen sie nach ge-
1) Gewöhnlich wird eine ganz andere Darstellung dieser Entwicklung vor-
getragen. Danach verwandelten die Grundbesitzer nicht deshalb Felder in ewige
Weide, weil der Ackerbau nicht mehr lohnend, sondern weil die Schafzucht noch
lohnender war. HassAcm hat diese Ansicht durch genaue quellenmäfsige Unter-
suchungen aus der Welt geschafft. Der Wollpreis ist nämlich nicht, wie dort ange-
nommen ist, gestiegen, sondern ist vielmehr von 1400—1540 gesunken, wie HAssacı
auf Grund der von RoGErs in seiner „History of Agriculture and Prices“ mitgeteilten
Zahlen beweist! „Das Bild, welches uns die englische Landwirtschaft im 15. Jahr-
hundert bietet, ist also dasjenige einer allgemeinen Notlage. Als die Preise der Wolle
nach 1540 stark stiegen, hatte der Einhegungssturm schon die meisten Häuser und
Menschen weggefegt, die hohen Wollpreise können also die ‚Enelosures‘ nicht be-
wirkt haben“ (HaAssAcm, Die englischen Landarbeiter und die Einhegungen , 1894).
10%