1. Kapitel. Die soziale Lage Englands beim Anbruch der neuen Zeit. 149
druck, den die Umwälzung in den Produktionsverhältnissen auf die Zeit-
genossen selbst machte. Und wie viel von jenen Klagen immer noch
zutreffend gewesen sein muls, zeigt die Einleitung zu einem 1515 er-
lassenen Gesetze Heinrichs VIII, das die erwähnte Bestimmung Hein-
richs VIL. von neuem einschärft, worin es heifst, dafs „viele Pachtungen
und grofse Viehherden, zumal Schafe, sich in wenigen Händen auf-
häuften, wodurch die Grundrenten sehr gewachsen, der Ackerbau sehr
verfallen, Häuser und Kirchen niedergerissen und ganze Volksmassen in
die Unmöglichkeit versetzt seien, sich zu erhalten“. Übrigens konstatiert
auch der neueste und objektivste Historiker der landwirtschaftlichen Ent-
wickelung Englands, W. HAsBAcH, „die Gröfse der wirtschaftlichen und
sozialen Veränderungen, die damals in wenigen Menschenaltern schreck-
lich wie der schwarze Tod über die unglückliche englische Bauernschaft
hereinbrachen“. Erst nach 1530 kam der geschilderte wirtschaftliche
Prozefs einigermafsen zum Stillstand, sei es deshalb weil damals die
Getreidepreise stiegen, oder sei es weil die staatlichen Gewalten sich
endlich zu kräftigem Einschreiten aufrafften, indem sie darauf drangen,
dafs ungesetzlich vorgenommene Einhegungen niedergerissen wurden. —
2. Arbeitslosigkeit und Bettel. Was geschah nun mit all dem Bauern-
volk, das von seiner Scholle vertrieben war? Landwirtschaftliche
Arbeit konnte ihm nicht zugewiesen werden, da es ja nun auf dem
Lande, wo an vielen Stellen Tausende von Bauern durch einige Hirten
ersetzt worden waren, viel weniger zu thun gab als früher. In der auf-
blühenden Industrie konnten erwachsene Bauern nur selten untergebracht
werden, weil sie an solche Arbeit nicht gewöhnt waren, auch nicht die
/ nötige Geschicklichkeit mitbrachten.
; So blieb vielen dieser beschäftigungslos gewordenen Bauern nichts
weiter übrig als — der Bettel, den überdies verschiedene mittelalterliche
Institutionen zu begünstigen schienen. Denn Almosenspenden ohne Ansehen
der Person galt in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters als Christen-
pflicht, deren Erfüllung in der anderen Welt der Summe der guten Werke
des Spenders zugerechnet wurde. Darum giebt auch der bereits genannte
; Geistliche Crowley — trotzdem er die Kniffe und Pfiffe arbeitsscheuer
- Bettler recht wohl kennt und sogar drastisch zu schildern weils — dem
Leser schliefslich doch den Rat:
„Hör’ Du nicht auf zu geben,
Und frag’ nicht nach dem Lohn,
5 Denn sind auch schlimm die Bettler,
r Du trägst ihn doch davon.“
6 Besonders pflegten natürlich die Klöster das Almosenspenden als nobile
Rn offierum. „Viele von den Mönchen — heilfst es in einer anonymen Schrift
h vom Jahre 1690 über das alte Klosterwesen — wandelten, soweit ihre
DL Einkünfte ausreichten, ihre eigenen Ordenshäuser in Heilstätten um und
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