Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

2. Kapitel. Mores kommunistisches Staatsideal. 173 
kommunistische Gesellschaftsordnung ersann, in der alle wirtschaftlichen 
Leiden mit der Wurzel ausgetilgt waren. Und dafs solches geschah, 
war die Konsequenz davon, dafs More die humanistische Weltanschauung 
so tief in sich aufgenommen hatte, dafs er den Versuch machen wollte, 
das Bild einer Gesellschaft zu zeichnen, -in der das humanistische Lebens- 
ideal verwirklicht wäre. Dieses fordert Gerechtigkeit und Glück für 
Alle — da die Menschen Glieder Einer Familie! —, Enthaltung von jeder 
Ausbeutung, möglichste Freiheit eines jeden Individuums in allen Lebens- 
beziehungen, tugendhaftes Leben und Streben Aller, Belohnung vorzüg- 
licher Leistungen, Bestrafung des Lasters, harmonisches Zusammenleben 
Aller, Vermeidung von Ausschweifungen, Verachtung aller für die Ge- 
sundheit und wahre Fröhlichkeit wertlosen sinnlichen Genüsse, endlich 
Ausbildung eines jeden Individuums zu einer geistig regen und thätigen 
Persönlichkeit. Diese humanistische Ethik ist nun für Mores Idealstaat 
so mafsgebend gewesen, dafs man geradezu sagen kann: wer den Codex 
dieser Ethik in ihrer edelsten, vollkommensten und humansten Gestalt 
und alle Konsequenzen, die sich daraus für das praktische Leben er- 
geben, kennen lernen will, der nehme die „Utopia“ zur Hand! 
In der praktischen Anwendung dieser Ethik nun — also 
in der Ausführung des humanistischen Lebensideals — kam More zum 
Kommunismus. Er sah, dafs der freiwirtschaftende Egoismus zur 
Unterdrückung und Ausbeutung führte, Tausende und Abertausende in 
Arbeitslosigkeit und unverdientes Elend stiels und Unglück über das 
Land brachte, — zu der eben durchbrochenen zünftigen Wirtschaft, die 
Privilegien für die Einen schuf und die Andern desto mehr in Abhängig- 
keit hielt oder wohl gar ausschlofs. Mochte der gleichheitliebende Mann 
natürlich keine Rückkehr anraten: so mufste er sich entschliefsen, einen 
neuen Plan sozialer Organisation auszudenken. Und hier war es der 
von allen Humanisten und zumal von More ganz besonders geschätzte 
„göttliche“ Plato, der ihm den Weg zu dem neuen Ideale wies. Der 
hatte in seiner Politeia die Habsucht und die andern menschlichen Laster 
nicht aufkommen lassen und durch gemeinsames Eigentum auch 
ein gemeinsames Interesse hergestellt, —. also suchte More ebenfalls ein 
ähnliches Resultat durch ähnliche Mittel zu erreichen. Freilich mufste 
er auch in Vielem von dem System des Meisters abweichen: denn in 
der Wertung des Einzelmenschen, in der Schätzung der Entwicklungs- 
möglichkeit des Individuums, in dem der Freiheit der Person zu zollenden 
Respekt waren ihre Auffassungen von Grund aus verschieden. Darum 
konnte sich More mit dem unumschränkten Regiment der Weisesten und 
Besten, mit dem furchtbaren Zwange, dem die Mitglieder der obersten 
Stände unterworfen waren, endlich mit der Tendenz, den Schwerpunkt 
des Staatswesens in die Vervollkommnung eines kleinen Elitekorps zu 
legen, nicht befreunden und kam somit dazu, der sozialaristokratischen
	        
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