Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

196 Erster Teil. Fünftes Buch. 
kleinen mit einer vollkommeneren Form des Absatzes im grofsen ver- 
einigte, mufste sie sich zu allererst als die gewerbliche Betriebsform dar- 
bieten, die — bei geringster Änderung altbestehender Verhältnisse — dem 
Bedürfnisse der neuen Zeit nach einem interlokalen und internationalen 
Tauschverkehr grofsen Stils zu genügen vermochte. Leute, die Kapital 
hatten und Intelligenz genug besafsen, um die Richtung des neuen Be- 
darfs und das Mafs der zahlungsfähigen Nachfrage zu erkennen, traten 
an die Spitze, warben Handwerker, unzünftige Tagelöhner der Städte 
und — bisher nicht voll beschäftigte — Personen der ländlichen Bevöl- 
kerung an und riefen die neue Organisation ins Leben. „Die Krämer 
des Ortes, mit denen die kleinen Meister sonst mancherlei Geschäfte zu 
machen haben, und Kapitalisten aller Art, die aufserhalb der Zunft standen 
und etwas wagen konnten, übernahmen der Vertrieb. Mit Handelsgeist 
und Kapital versehen, griffen sie rasch nach den Zügeln des in Bewegung 
gekommenen, aber meisterlosen Wagens. Sie begannen zugleich Rohstoffe 
und Muster zu liefern; sie wufsten das alte Innungsrecht, wo es nötig 
war, zu sprengen, sie wulsten die vielfach ganz neuen Geschäftsverhält- 
nisse zu organisieren, das entsprechende neue Recht vorzubereiten, bei 
den Verwaltungen und Regierungsbehörden es durchzusetzen, bei ihnen 
und in der Fremde Privilegien zu erwerben; so wurden sie recht eigent- 
lich die Begründer der Hausindustrie, diejenigen, welche aus kleinen 
örtlichen Gewerben und lokalen bäuerlichen Nebenbeschäftigungen grofse 
blühende Industrien schufen.“ (SCHMOLLER.) Indem so ganze grofse haus- 
industrielle Bezirke entstanden, wurde die neue Art des Betriebes damals 
mit Recht als ein wesentlicher Fortschritt empfunden und dessen haupt- 
sächlichste Träger, die Verleger, als Wohlthäter der Nation gefeiert. So 
schreibt z. B. JOHANN JoOACHIM BECHER, Deutschlands einflufsreichster 
volkswirtschaftlicher Schriftsteller dieser Epoche: „Man hat Exempel, dafs 
durch ihrer Etliche ganze fürnehme Städte sind aufgekommen, ja etliche 
tausend Menschen von ihnen ihre ehrliche Nahrung gehabt; sie machen 
das Land populös und nahrhaft, sind nützliche Glieder der Gemeine, die 
ihr End setzen, die societatem eivilem zu vermehren und zu ernähren“. 
Und noch Friedrich der Grofse konnte seine schlesischen Weberdistrikte 
als das preufsische Peru bezeichnen. 
Wir sahen, dafs die Technik in der Hausindustrie dieselbe blieb, 
wie zuvor beim Handwerk; aber die Änderung in der Art des Absatzes 
der Produkte ist doch mit weittragenden sozialen Konsequenzen ver- 
knüpft. Zwar arbeitet der hausindustrielle Meister oft auch noch 
mit Gehilfen, ist oft auch Eigentümer der Werkzeuge, manchmal sogar 
eines Teiles der Rohstoffe, ganz wie der Handwerksmeister: aber er setzt 
nicht mehr die Waren an verschiedene Konsumenten ab, sondern er liefert 
sie gegen Zahlung eines vorher ausbedungenen Lohnes sei’s an den 
kapitalistischen Verleger, sei’s an Mittelspersonen („Faktoren“, welche die
	        
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