Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

Erster Teil. Erstes Buch. 
Hier war es nun, wo die beiden Gracchen einsetzten: sie strebten 
die reelle Durchführung jenes Ackergesetzes an, um den in seiner Lebens- 
wurzel angegriffenen Bauernstand — die wichtigste Stütze von Roms 
Imperium — zu retten. Der Plan, den Tiberius Gracchus als Volks- 
tribun des Jahres 133 entwickelte, war bekanntlich dieser: Niemand solle 
mehr als 500 Morgen occupıeren dürfen; alles, was sonst occupiert 
worden sei, solle vom Staate eingezogen und unter Besitzlose verteilt 
werden, denen dafür eine jährliche Abgabe an den Staat auferlegt, 
übrigens auch der Verkauf der Parzellen verboten war. Zur Durch- 
führung des Gesetzes sollte jährlich ein Dreimänner-Kollegium gewählt 
werden, das in erster Linie überhaupt die Staatsländereien ausfindig 
machen sollte, die im Laufe der Jahrhunderte in Privatbesitz geraten waren. 
— - Formell juristisch war der Vorschlag nicht anzufechten; denn die 
Occupation der Staatsländereien durch Private war wider das Gesetz 
geschehen, und der Staat konnte die Rückgabe beanspruchen. Aber 
faktisch hatten die Kapitalisten seit Jahrhunderten mit solchem Land ge- 
nau wie mit ihrem Privateigentum geschaltet, es weiter verkauft und 
vererbt. Die Durchführung jenes Vorschlages hätte daher in Wirklich- 
heit einen totalen Umstüz der Vermögensverhältnisse bedeutet: viele 
Familien mit ererbtem Reichtum wären mit einem Schlage um den 
gröfsten Teil ihrer Güter gekommen, während freilich auf der anderen 
Seite viele Tausende von Besitzlosen sich in die Lage halbwegs wohl- 
habender Erbpächter versetzt gesehen hätten. Es ist deshalb begreiflich, 
dafs die Nobilität sıch durch jenen Antrag in ihrem Lebensnerv getroffen 
fühlte, und dafs aus ihren Reihen angesichts des revolutionären Beginnens 
ein Schrei des Unwillens sich erhob. 
Es ist bekannt, wie die Reformbewegung völlig fehlschlug und nur 
den Untergang ihrer Urheber herbeiführte: so schritt der Prozefs der 
sozialen Zersetzung immer weiter vor, schwand der Bauernstand immer 
mehr zusammen, ward die Kluft zwischen Arm und Reich immer tiefer. 
2. Mittelstandspolitik und Versorgung der Massen. Für die Staaten 
des Altertums war die Frage der Erhaltung des Kleinbauernstandes 
der wichtigste Teil des sozialen Problems, aber sie stellte durchaus 
nicht das ganze Problem dar. Das zeigt besonders die Geschichte 
Athens, wo seit der solonischen Reform auf Jahrhunderte hinaus die 
Existenz jenes Standes völlig gesichert und eine eigentliche „Agrar- 
frage“ im Lande selbst nicht mehr zu lösen war. Zunächst stieg fort- 
während der Bedarf an Land, weil die Bevölkerung bis zum Pelopon- 
nesischen Krieg stetig wuchs und in den Gewerben nicht genügend 
Unterkunft fand. Hier schuf nun die Ansiedelung von Bürgern in er- 
oberten, bereits kultivierten Gegenden und ihre Ausstattung mit Bauern- 
gütchen Abhilfe. Dieses System der „Kleruchien“, wie man wegen 
der Verteilung der Bodenparzellen durchs Los /(xinooe) solche Bürger- 
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