Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

L6 Erster Teil. Erstes Buch. 
Politik und öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen soll, so erfordert 
die Staatsraison, dafs die Obrigkeit für die Ausfüllung seiner Mufse 
Sorge trage. Deshalb entschlofs sich Augustus, das Volk durch Spiele 
zu unterhalten und seiner Phantasie auf diese Weise Beschäftigung zu 
geben. Schon früher waren Spiele — „die Offenbarung wie die Nah- 
rung der ärgsten Demoralisation in der alten Welt“ (Mommsex) — bei 
gewissen Gelegenheiten üblich gewesen und hatten die wichtigste Volks- 
Justbarkeit dargestellt. Aber was Augustus hier an Fechterspielen und 
Tierhetzen, an Aufführungen im Theater und im Cirkus. dem Volke 
bot, stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten, so dafs bereits 
Sueton bemerkt: „Spectaculorum et assiduitate et varietate et magni- 
ficentia omnes antecessit“. 
Unter den späteren Kaisern glitt man auf der schiefen Ebene, die 
man mit der Parole „Brot und Spiele“ betreten hatte, immer weiter ab- 
wärts. Man begnügte sich nicht mehr mit Getreideverteilungen — an 
deren Stelle übrigens seit Aurelian (270—275 n. Chr.) die tägliche Aus- 
teilung von Brot trat —, sondern man gab noch Öl, Wein, Salz, schliefs- 
lich auch Fleisch, Kleider und bares Geld dazu. Das ganze System 
hatte den Zweck, das arbeitslose und auch arbeitsscheue Volk der Haupt- 
stadt mit Lebensmitteln zu versorgen, um es bei. guter Laune. zu erhalten 
und Unruhen. zu vermeiden. Wenn Ammianus Marcellinus einen Stadt- 
präfekten lobt, so hebt er ganz besonders hervor, dafs während seiner 
Administration Rom an allem Überflufs hatte; und derselbe Autor be- 
lehrt uns, dafs es im Fall des Mangels nicht nur der notwendigen Le- 
bensmittel, sondern selbst schon des entbehrlichen Weines zu Strafsen- 
krawallen kam. So wurde es geradezu eine Existenzbedingung für das 
Kaiserreich, die erforderlichen Rationen für die Spenden rechtzeitig aus 
den Provinzen herbeizuschaffen; jede Verzögerung im Transport konnte 
verhängnisvoll werden. Das System der Volksbelustigungen wurde unter 
den späteren‘ Kaisern natürlich ebenfalls weiter ausgebaut. Die wich- 
tigsten Spiele waren jetzt die cireensischen, bei denen es sich um Wagen- 
rennen, gymnastische Kämpfe und Tierhetzen handelte. „Die Zahl der 
Plätze im Cirkus giebt Dionys auf 150000, Plinius nach der Erweite- 
rung durch Nero auf 250000 an. Neue Erweiterungen erfolgten durch 
Trajan, der 5000 Plätze hinzufügte, und ohne Zweifel später wiederholt 
durch andere Kaiser. So fafste der Cirkus im vierten Jahrhundert 
385 000 Plätze“ (FRIEDLÄNDER). Die Gladiatorenkämpfe, die vorzugs- 
weise im Amphitheater stattfanden, wurden von den Kaisern nicht min- 
der ausgebildet. Und schliefslich wurden noch bei den Spielen Ge- 
schenke, zumal Efswaaren, oder Marken, die für die Empfänger Anwei- 
sungen auf Gewinn darstellten, unter die Zuschauer geworfen. So konnte 
dem Kaiser Aurelian sein Stadtpräfekt mit Recht sagen: nun fehle blofs 
noch, dafs dem Pöbel die gebratenen Tauben in den Mund flögen. Da 
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