Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

2. Kapitel. Sozialistische Ideen in Athen, bes. Platos aristokrat. Kommunismus. 29 
Menschen, Lust und Unlust zu fliehen oder zu suchen, jenachdem er 
soll, und standhaft auszuharren, wo er eben bleiben soll. Darum mufs 
notwendig der besonnene_ Mann, da er zugleich nicht anders als tapfer, 
gerecht und fromm ist, auch der vollkommen gute Mann sein: der 
Gute aber hat die schönste Lebensführung und ist damit ganz selbst- 
verständlich zufrieden und glücklich“ (PLATo). 
Darum reicht eigentlich schon die Betrachtung der irdischen Dinge 
vollkommen aus, um Jedem begreiflich zu machen, dafs die bewufste 
Gerechtigkeit bei äufserem Mifserfolge unendlich glücklicher mache als 
Ungerechtigkeit beim gröfsten Erfolge, und dafs daher eine Vergeltung 
im jenseitigen Leben gar nicht erfordert werde. Trotzdem kann Plato, 
dessen theologische Natur sich hier gewaltsam Bahn bricht, es nicht unter- 
lassen, zu zeigen, welch’ ewige Interessen durch eine ungerechte Lebens- 
führung hienieden gefährdet sind. Fest steht ihm, dafs aller Übel ärg- 
stes für die Seele seı: mit Sünden schwer belastet von dannen herab zur 
Unterwelt zu fahren; denn dort wird sie dann ewiglich zu furehtbaren 
Leiden verdammt sein, um für ihre irdischen Vergehungen zu büfsen: 
weil oberstes Gesetz für alle Welten, Götter und Menschen, die mathe- 
matische Gleichheit-ist, also der Ausgleich zwischen Plus und Minus. 
Wie dieser aber im jenseitigen Leben stattfinde, macht Plato in. einer 
Vision von wunderbarer Kraft anschaulich. Er führt den macedonischen 
König Archelaus vor, wie er seinen Weg zur Unterwelt sucht. Im Leben 
hatte er sich über Ströme ungerecht vergossenen Blutes hinweg den 
Weg zum Throne, der ihm gar nicht gebührte, gebahnt und schliefs- 
lich ohne Anfechtung bis ins hohe Alter regiert. Jetzt, wo die Seele: des 
Archelaus sich vom Leibe entkleidet dem Unterweltsrichter stellen mufs, 
erscheinen an ihr alle jene Schandthaten als ebensoviele Narben und 
blutige Striemen, und so wird sie hinabgestofsen zum Orte der Qual, um 
das, was ihr zukommt, zu dulden, — während die Seele eines Gerechten, 
wie die des Aristides, sofort eingeht zur ewigen Seligkeit. 
Mit den Mafsstäben dieser erhabenen, aber freilich auch ganz welt- 
fremd _gearteten Moral geht er Athens politischem Regiment zu Leibe, — 
in grofsartiger Konsequenz seiner ersten Sätze, wodurch der Dialog, in 
dem alles aus einem Gulfs ist, künstlerisch gewinnt, während er natürlich 
an praktischer Bedeutung einbüfst, da das Leben unmöglich in dieser 
Art durch die Doktrin gemeistert werden kann. 
Wer als politischer Redner und Staatsmann auftritt — sagt Plato —, 
mu{fs die Bürger zur Gerechtigkeit hinzuleiten suchen, auf dafs sie besser 
werden. Wo giebts aber in Athen einen solchen Staatsmann? Nehmen 
wir die anerkannt berühmtesten, Perikles, Cimon, Miltiades und Themi- 
stokles. Sind durch sie die Bürger besser geworden oder nicht vielmehr 
schlechter? Hört man nicht oft genug behaupten, Perikles habe die 
Athener faul, feige, geschwätzig und geldgierig gemacht, indem er sie
	        
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