Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

50 Erster Teil. Erstes Buch. 
zuerst zu Söldlingen (des Staates) erniedrigte? Und ist nicht Das ganz 
sicher? Als Perikles Leiter des Staatswesens wurde, waren die Athener 
halbwegs zahm, gegen Ende seines Regiments waren sie aber so ver- 
wildert, dafs sie schliefslich ihn selber beinahe zum Tode verurteilt hätten. 
Also ist Perikles zu beurteilen, wie Jemand, der über Tiere zu wachen 
hat, sie aber verwildern läfst. Und genau so stehts mit den andern 
Staatsmännern. Niemanden giebts mithin in der athenischen Geschichte, 
der als tüchtiger Staatsmann. betrachtet werden kann. Und der Grund 
von alledem? Der liegt darin, dafs alle diese Politiker wohl daran ge- 
dacht haben, dem Volk das zu verschaffen, wonach es gelüstete, — aber 
nie daran, seine Gelüste umzustimmen, es durch Überredung oder Ge- 
walt dahin zu bringen, dafs es besser würde als zuyor: und doch ist 
dies die einzige Obliegenheit des rechten und guten Staatsmannes! Und 
wenn es heifst: jene hätten aber die Stadt zu ihrer Grösse erhoben, — 
so merkt man eben nicht, dafs sie in Wahrheit nur aufgedunsen und 
innerlich vereitert ist. Denn ohne an besonnenes Mafs und an Gerech- 
tigkeit zu denken, haben sie nichts weiter gethan, als die Stadt immer 
und immer wieder mit Häfen, Schiffswerften, Mauern und Zöllen und 
derlei Possen anzufüllen! Ungerecht waren alle jene Staatsmänner, — 
nur geschickter war man freilich ehedem als heute! 
Das sind nun ungerechte Worte herber Kritik und beifsender Ironie 
über die athenische Demokratie und die grofse Zeit Athens, die doch die 
hellenische Kultur vor der Zertrümmerung durch die Faust der Barbaren 
gerettet! So mufste denn auch dieser hochgespannte ethische Doktrina- 
rismus die demokratischen Traditionen des Vaterlandes mifsachten und 
die heimischen Institutionen bekämpfen. 
3. Platos Idealstaat. Weniger klar war zunächst freilich das positive 
Ideal dieser Richtung. Immerhin stand soviel fest: sie konnte sich nicht 
mehr darauf beschränken, für die durch „Geburt und Besitz“ ausgezeich- 
neten Klassen das Recht auf Herrschaft zu reklamieren, sondern sie mufste 
in Anlehnung an des verblichenen Meisters Worte und die im „Gorgias“ 
verkündeten ethischen Lehren das Regiment der Sachverständigsten und 
moralisch Tüchtigsten anstreben. So wird das Reich, wo die wahrhaft 
Edelsten und Besten — die Aristokratie der Seele und des Geistes — regieren, 
das politische Ideal der neuen Richtung. Und in dessen Ausführung 
gelangt Plato in seinem späteren Hauptwerke zu einer kommunistischen 
Doktrin: die Regierenden — deduziert er in der Schrift vom Staate 
(mohıreiam ) mweol dızalov) — lassen sich, auch bei besten moralischen 
Grundsätzen, oft genug durch ihre privaten Besitz- und Familieninteressen 
beeinflussen und weichen so von dem durch das Prinzip des höchsten 
Gemeinwohls wie der wahren Gerechtigkeit bestimmten Pfade ab: also 
läfst sich eine vollkommene Koineidenz zwischen den Pflichten der Re- 
gijerenden und ihrem thatsächlichen Verhalten nur durch Eliminierung
	        
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