Full text: Offene Briefe

Kann er doch auch nicht zween Herren dienen, nicht unbedingt den Menfhen, das Sleiche, Jenfeitige, und un- 
„edingt das Gefhlecht, das Ungleiche, Diesfeitige anbeten! Entweder lKiebt er jenes, dann haßt er diefes — fo wie 
28 der verfallende Chriff mit der Kirche tut! — oder er Kicht diefes, dann haßt er jenes — To -wie es der Urchriff 
shne Kirche tat! Dhyfildh und moralifh ungleich mit ihn im Diesfeits auferftehen, darauf Fonumt es für die Ges 
lechter an! Nicht einfeitig moralifh und phyfifh in einander den glei reinen Menfhen achten, fondern gegene 
jeitig phyfifd und moralifh in einander das ungleich reine Gefhlecht, das if wahres Diesfeitschriffentum ! Nicht 
das Reich Gottes erwerben im jenfeitsgleihen, fondern im diesfeitsungleihen Unfchuldigwerden wie die Kindlein, 
das Bewußtfein des yerfönlidhen Diesfeitsgottes frei machen im hochentwidelten Berftand des Mannes, das des 
ınperfönlihen frei machen im hochentwickelten Gefühl des Weibes, das wollte der Urchrift, Wo Fein jenfeitse 
zleihes Gefeß fei, da fei auch Feine gefühlechtsungleihe Sünde und Sterblichkeit! Wer es fallen mag, der falfe es! 
©b Eure Heiligkeit e& nach dem aufmerffamen Studium meines Buches nody vor Gott dem Almächtigen 
der in der Überwindung der feindlidhen Materie doch auch in Ihrem SGeift unbedingt diesfeitsbewußt wird !), alfo 
noralifh vor ich felber verantworten Fönnen, fih in dem Wunfdhe „Statthalter Chrifti auf Erden“ zu nennen, 
im Sammertal, im Verfall des ungleichen Diesfeits die gleiche Kenfeitsfeligkeit zu finden, bin ich fo frei, zu bezweifeln, 
30 fehr auch der Kenfeitsglaube das Diesfeitswijfen feinem Willen zur BVerewigung opfert, eine Stelle findet fidh 
doch, wo auch der gläubigfte Seelenhirte menfhlich fKerblich ift, in der Praxis und in der Theorie auch er zur richtigen 
Erkenntnis Fommt, daß er fi als Menfh eben grund[äßlich geirrt hat, Irren if ja menfhlid! Das Menfdhlicdhe, 
Zrrtümlidhe, Berfehrte aber dazu da, um überwunden zu werden! Und warum follten Eure Heiligkeit e$ nicht 
überwinden fönnen?! Zumal wenn Sie fich fagen müffen, daß das Diesfeitsleben mir Recht gibt! Lag doch auch den 
vielen Vorgängern Eurer Heiligkeit, foweit fie fih als Männer richtig groß betätigten, nichts an der gleichen Jenfeits- 
jeligfeit, betrachteten do) auch fie ihre ungleidh perfönliche Heiligkeit, ihre diesfeitsrichtige Unfehlbarkeit nur als die 
möglich wahre! Warum Tfollten Sie alfo nicht einfehen, daß es wohl gleihe Menfhenpflichten, nicht aber gleiche 
Menfhenrechte geben kann, dagegen wohl ungleihe Gefhlechterrechte, nicht aber ungleihe Gefhlechterpflichten?! Daß 
ließlih Zefu ungleihes Diesfeitsgebot, Gott zu Heben und feinen Nächften als fich felbft, das bedeutet, was ich 
zuch fin meinem Buche als die diesfeitsrichtige Lebensanfhauung bezeichne und was ich furz in diele Worte falle: 
YhnlildH und moralidHh als Geflecht nur ungleich Leben wollen und leben Iaffen, was fo Leben will?! 
Vielleicht werden aber Eure Heiligkeit weder mein Buch lefen noch diejen Brief — 
Übrigens fei vieles in ihm audy den Proteftanten gefagt. Nichts if nämlich dauernd, ewig als der 
Wechfel, das Ungleiche, Diesfeitige ! 
„Ih will ein Feuer anzünden auf Erden und ih wollte es brennete fhon!” fagte der ungleihe Mann 
aus Nazareth noch. Immer hat es die Kirche wieder verffanden, diefes heilige Feuer ungleicher Entwidlung der 
Sefhlechter an feinem Auffladern zu hindern. IJeßt aber fol ihr Eifer vergebens fein, jebt fol der diesfeitsrettende 
Funke des Meifias auflodern, zur höheren Chre Gottes, des ungleihen Vaters im Himmel und auf Erden! 
Xd) bitte Eure Heiligkeit, mit den aufrichtigften Münfhen für Ihr diesfeitiges 
Wohlergehen, die Berficherung meiner wahren Sochactung entgegenzunehmen. 
ge.) Hans Chriftianfen, 
Wiesbaden, im September 1930,
	        
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