Full text: Die gotische Holzfigur

Allgemeines über dıe 
Technik der gotischen Holzfigur 
VVe und Technik der gotischen Holzfigur hängen inniger zu- 
sammen, als man schlechthin glauben möchte. Es ist kein Zufall, 
laß in der gotischen Periode gerade das Holz als Material für die Ausfüh- 
rung der kirchlichen Skulpturen allen anderen Werkstoffen vorgezogen 
wurde. Wenn auch rein praktische Erwägungen mit ein Hauptgrund da- 
für waren, daß das Holz als Altarbaustoff immer ausschließlicher zur Ver 
wendung gelangte, so sind in der Gotik doch ohne allen Zweifel auch 
ideelle Gründe hierfür maßgebend gewesen. Am vordringlichsten war 
zweifellos der Umstand, daß eine so sorgfältig ausgeführte Bemalung 
und Vergoldung, wie sie die gotischen Holzskulpturen erhielten, eine 
dem Tafelgemälde analoge Unterlage erforderte. Weder der Stein noch 
der gebrannte Ton boten auch nur annähernd die Vorteile, die dem 
geschmeidigen, porösen Lindenholz als Unterlage für den Malgrund 
eigen waren. Das geringe Gewicht des Holzes kam gleichermaßen den 
praktischen wie den ideellen Erwägungen entgegen. Die Skulpturen, 
die in dem kühnen Aufbau eines gotischen Schreinaltars ihren Platz 
fanden, und mehr noch die beweglichen Andachtsbilder durften ein 
großes körperliches Gewicht keinesfalls haben. Dieser materiellenÜber- 
legung stand eine rein geistige Empfindung eng zur Seite. Was lag näher, 
als diese tänzelnden, im wahrsten Sinne des Wortes entlasteten, welt- 
entrückten gotischen Heiligengestalten, die den abstrakten Eindruck 
einer durch und durch geistigen Unkörperlichkeit erweckten, auch 
materiell aus einem leichten Stoff zu formen? Ja, in manchen Fällen 
wurde diese beziehungsreiche Gewichtslosigkeit durch ungewöhnlich 
starke Aushöhlung der Skulpturen so weit vorgetrieben, daß von dem 
als Werkstoff verwendeten Holz nahezu nichts mehr übrig blieb, daß 
die ganze Skulptur tatsächlich nur mehr Malerei auf einer überraschend
	        
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