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Die Entstehung einer gotischen
Holzfigur
A) Die Arbeit des Bildhauers
DD: Entstehung einer gotischen Holzfigur zerfällt in zwei Etappen:
In die Arbeit des Bildhauers und in die darauf folgende Arbeit des
Faßmalers!). Dies sind zwei voneinander grundverschiedene, zeitlich ge-
trennte Prozesse, die zuweilen von der gleichen Hand oder wenigstens
in ein und derselben Werkstätte, oft genug jedoch von zwei ganz und
var verschiedenen Meistern in getrennten Werkstätten ausgeführt wur-
den. Das Primäre, und da es sich um ein Werk der Plastik handelte, zu-
gleich auch das künstlerisch Wichtigere, war ohne Zweifel die Arbeit
des Bildhauers. Es ist nicht überflüssig, diese T’atsache ausdrücklich zu
unterstreichen. Nicht nur heute, nein schon zur Zeit der Gotik war die
Neigung, der Bemalung und Vergoldung, also der Fassung einer mittel.
alterlichen Holzfigur mehr Gewicht als der plastischen Arbeit selbst
beizumessen, weit verbreitet. Ganz reale Tatsachen überliefern dies. So
der Umstand, daß aus den erhaltenen Rechnungen hervorgeht, wieviel
höher oft die Fassung einer Figur honoriert wurde, als die Ausführung
der plastischen Arbeit. Man geht daher nicht fehl, wenn man annımmt,
daßim Grunde die Herstellungeiner gotischen Holzskulpturetwa gleich:
bedeutend war mit dem Verlangen nach der Verwirklichung eines
plastischen, auch auf eine größere Entfernung noch wahrnehmbaren
Gemäldes. Die Wichtigkeit der farbigen Erscheinung war also für eine
gotische Holzfigur von vornherein festgelegt, darüber mußte sich der
Bildschnitzer klar sein, und darauf mußte er bei seiner Arbeit ständig
Rücksicht nehmen.
) Das Wort Faßmaler ist abgeleitet von dem Zeitwort fassen, d.h. einfassen eines Gegenstandes mit schmückenden
Zutaten. Unter fassen einer Figur versteht man den Vorgang des Bemalens und Vergoldens. Die Be-
malung selbst nennt man Fassung, den Hersteller der Fassung Faßmaler. Ungefaßt heißt nicht be-
malt bzw. nicht vergoldet.
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Wilm, Gotische Holzfigur.